13. Februar

KwaBhanya_13.02.1963

Mit zwölf Jahren bekam ich mit aller Härte zu spüren, was es hieß, schwarz zu sein: Große Kettenfahrzeuge und Lastwagen waren am frühen Morgen des 13. Februar 1963 in unser Dorf KwaBhanya bei Vryheid eingerückt. Es war zum „black spot“, zum schwarzen Fleck, erklärt worden und sollte ausradiert werden – weil es in einer Region lag, die das Gesetz nur Weißen zum Grundbesitz vorbehalten hatte. Die weißen Männer in schweren Stiefeln schrien uns an und kommandierten uns herum. Meine Mutter, meine Geschwister und ich wurden aufgefordert, schnell alles, was wir tragen konnten, auf die wartenden Lastwagen zu laden und uns zum Abtransport gleichdazuzusetzen. „Wenn mein Vater hier wäre …“, dachte ich. Doch Männer im arbeitsfähigen Alter waren alle bei der Arbeit – die meisten weit weg.

Ich habe das noch vor Augen: Flehend und bettelnd versuchten unsere Mütter bis zur letzten Minute, die Weißen umzustimmen oder sie wenigstens um etwas mehr Zeit zu bitten. Vergebens! Das Dröhnen der Bulldozer, der gereizte Befehlston und die Kampfausrüstung ließen keinen Zweifel daran, dass wir endgültig weggejagt werden sollten. Bald hockten wir zwischen den wenigen geretteten Habseligkeiten. Vom Lastwagen sahen wir die Planierraupe, die vor unseren Augen das Haus, das meine Eltern 20 Jahre zuvor mit eigenen Händen errichtet hatten, dem Erdboden gleichmachte – das Zuhause ihrer insgesamt zwölf Kinder. Die weißen Männer zündeten das Strohdach an. Flammen, Rauchschwaden und dichte Staubwolken verdunkelten den Himmel. Verstörte Haustiere liefen ziellos durcheinander.

Die Welt meiner Kindheit – das einst so vertraute, schützende Heimatdorf glich der Hölle selbst! Mama weinte. Am meisten machte mir zu schaffen, dass sie so hilflos war. Sie, die mich sonst doch immer beschützen konnte. Heute –nach all den Stationen, durch die der struggle* mich geführt hat – wirken Bilder in Ausstellungen über jene Zeit und die Erinnerungen, die sie wecken, fesselnd und aussagekräftig. Sie sprechen mich an, erinnernd und mahnend zugleich. Gleichzeitig empfinde ich sie aber auch als museal – erstarrt, verstaubt, rückwärtsgewandt. Anfangs sind sie für mich oft befremdlich, dann wieder wirken sie anspornend und sind eine Kraftquelle für meinen Weg. Sie halten die Hoffnung wach.

Meine Nichten und Neffen in der Provinz Gauteng können dies heute kaum noch nachvollziehen. Die damaligen Begebenheiten sind der jungen Generation – Gott sei Dank! – nicht mehr ohne Weiteres verständlich. Doch gerade das fordert mich auch heraus, die Erinnerungen wieder zu wecken und diese Geschichten an die junge Generation weiterzugeben. Wenn ich heute vor einem dieser Bilder von damals stehe, so ist es, als ob ich die Ruine meiner Geburtsstätte in KwaBhanya besuchen, bei den Gräbern meiner Geschwister und meiner Vorfahren verweilen würde und ich kann meinen Erinnerungen ihren Lauf lassen: Ich sehe und rieche den Staub und den Rauch, höre das Getöse, das Jaulen der Tiere und die Schreie von 1963 wieder. Und dann beschleicht mich ein unbeschreibliches Glücksgefühl, und ich freue mich darüber, dass die Schreckensherrschaft und die Unmenschlichkeit der Apartheid nicht das letzte Wort behielten. So wirken die Erinnerungen, die Bilder und der Besuch meiner Geburtsstätte auf mich heute.

Ben Khumalo-Seegelken.

*Vom „struggle“ reden wir,
wenn wir jene Zeiten meinen, die davon geprägt waren,
dass du dich als Mensch schwarzer Hautfarbe im Apartheid-Südafrika
tagein tagaus
dagegen stemmen und wehren musstest, entmenschlicht zu werden.
Wir haben uns gewehrt und wollten uns nicht damit abfinden,
dass wir ausgebeutet, gegeneinander ausgespielt
und zum Nichtmenschen herabgewürdigt wurden.
Fest klammerten wir uns an die Hoffnung auf eine bessere Zukunft
und hatten dabei den längeren Atem.

10 Kommentare zu diesem Artikel bisher »

Kommentare zu »13. Februar«

  1. Lieber Ben,
    ich bin Dir so dankbar, dass Du diesen furchtbaren Tag aufgeschrieben und damit Deinen Nichten und Neffen und ihren Kindern festgehalten hast. Ich habe für meine Kinder und Enkelkinder meine ersten 10 Jahre, die voller Turbulenzen, Ortswechsel und außergewöhlicher Ereignisse durch Krieg, Flucht und Nachkriegsmangel gekennzeichnet waren, aufgeschrieben.
    Meine Mutter wurde 90 Jahre, aber ich kam leider erst nach ihrem Tod zu meiner Rückschau. So konnte ich ihr für ihren starken Schutz, ihren Mut und ihr Vertrauen in allen extremen Situationen nicht mehr danken.
    Bitte, schreib noch mehr aus der Zeit nach dem Vertreiben aus Eurem Haus auf. Es kommt die Zeit, in der sich die nächsten Generationen darauf stürzen werden. Deine Erfahrungen helfen auch mit, die Aufmerksamkeit wachzuhalten für das Bewahren der Demokratie und Eurer Errungenschaften seit den 90iger Jahren.
    Liebe Grüße
    Maria Luise

  2. Homo homini lupus, ich bin dankbar daß ich derartiges nicht selber erleben musste und nur aus Erzählungen und Beschreibungen kenne. Wir sind alle aufgefordert dem Rassismus und Chauvinismus die Stirn zu bieten. (Das Zitat am Anfang ist im übrigen den Wölfen völlig unangemessen)

  3. Lieber Ben!
    Ja, es ist gut, daran zu erinnern! Ich habe dann auch Deinen 50.Geburtstag vor Augen mit all den zwiespältigen Gefühlen. Als Weiße fühlt man sich dann ein Stück schuldig, hilflos und auf alle Fälle beschämt.
    Auch ich bin dankbar, dass diese Zeit überwunden ist. Obwohl: Ich merke es täglich: Ganz überwunden ist das Problem, das keines sein dürfte, doch noch nicht, ich merke es täglich im Zusammenhang mit der Flüchtlingsarbeit. Wir haben, auch hier vor Ort, noch ein großes Stück Arbeit vor uns. Ich will meinen kleinen Beitrag dazu leisten, indem ich mich für “meine” fünf Pakistani (hauptsächlich Sprachunterricht) engangiere.
    Sehr herzliche Grüße
    von Reinhild

  4. Lieber Ben,
    Welch schrecklichen Erinnerungen und wie kostbar die weitere Entwicklung! Genieße den Tag!
    LG Gabi

  5. Ihr Lieben,
    danke für Bens Bericht, der eine breite Öffentlichkeit verdiente. Leider versteht man viele Dinge erst zu einem Lebenszeitpunkt, da man nicht (mehr?) die Kraft hat, für sich selbst aktiv zu werden.
    Liebe Grüße aus Bottrop
    von Helga und Klaus

  6. Moin-moin lieber ben!
    …Erinnerungen können schmerzen. ..lähmen. ..
    Aber trotzdem :Erinnerungen sind wichtig und notwendig.
    Auch, wenn es solange her ist und der heutigen Generation schwer zu vermitteln. ..
    //
    Trotzdem lieber ben :
    Schönes Wochenende. ..mit Sonne und Leichtigkeit. ..!
    Viele liebe grüße!
    Dieter

  7. Ihr Lieben,
    … Dein Rückblick – Ben – auf den 13. Februar 1963 hat mich tief berührt und auch in mir Erinnerungen geweckt – schlechte/traurige
    und die guten an unsere Fahrt in Deine/Eure Heimat.
    Was machen wir Menschen eigentlich immer wieder mit Menschen!
    In diesen Zeiten ist das für Renate und mich manchmal kaum erträglich.
    Aber wir dürfen uns auch täglich wieder miteinander freuen und dankbar leben.
    Was haben wir es gut!
    Ganz liebe Grüße von Haus zu Haus
    Segen up paddje!
    Peter – Renate schließt sich gerne an

  8. Maar ek kry d indruk dat daar n groep jongmense by beide swart en wit is, wat geeneen van daardie goed beleef het nie, wat nou “so ähnlich wie die Neo-Nazis” ekstreme standpunte inneem en nuwe vyandighede en wrewel skep. Dis jammer!

  9. Umso dringlicher ist es, dass daran erinnert und davor gewarnt wird, liebe Annemie!

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