In der Rundfunksendung „GLAUBENSSACHEN“ auf NDR-Kultur am 12. November 2017 zeichnet Detlef Kühn* mit seinem Beitrag, „Manitu und der Gott des weißen Mannes“, einen verhängnisvollen Zusammenstoß nach, der unter dem Vorzeichen von `Bekehrung und Enteignung – Missionierung und Kolonialisierung´ nicht nur Nordamerika, sondern schließlich jedem Erdteil widerfuhr und die Welt tiefgreifend veränderte. Detlef Kühn erzählt:
> pdf: von allen guten Geistern verlassen
Autor:
Bevor die Weißen kamen, um den Kontinent zu besiedeln, die Einwohner zu zivilisieren und ihre Seelen zu retten, lebten die Indianer – beschützt von ihren Göttern – ein glückliches Leben. So wie der Komantschen-Häuptling Zehn Bären.
Sprecher :
Ich bin in der Prärie geboren, wo der Wind frei wehte, und dort gab es nichts, was das Sonnenlicht brach. Ich wurde geboren, wo es keine Umzäunungen gab und alles frei atmen konnte. Ich kannte jeden Bach und jeden Wald zwischen dem Rio Grande und dem Arkansas.
Ich jagte und lebte in dem ganzen Land. Ich lebte wie meine Väter vor mir, und, wie sie, lebte ich glücklich.
Autor:
Viele tausend Jahre konnten Nordamerikas Indianer ein Leben führen, das ihren Vorstellungen vom Glück entsprach. Doch 1492, als Kolumbus statt nach Indien zu segeln in Amerika landete, war es damit vorbei.
Das Land der Indianer wechselte den Besitzer – ohne dass die Indianer dies wussten.
Nur ein Jahr nach der Reise des Kolumbus – man ahnte kaum, was er entdeckte hatte und wie groß es war – verschenkte der aus einer spanischen Adelsfamilie stammende Papst Alexander VI. das Land, das er als Stellvertreter Gottes als seines betrachtete, für alle Zeiten an den spanischen König. Wie er in einer päpstlichen Bulle schrieb, fühlte er sich zu diesem Geschenk befugt:
Sprecher:
Aus der Fülle Unserer apostolischen Machtbefugnis, die durch den allmächtigen Gott auf Uns übertragen worden ist, sowie auf Grund der Stellvertreterschaft Jesu Christi auf Erden.
Autor:
Und Papst Alexander VI., der sein Amt erkauft hatte, Mätressen besaß – und drei Kinder, seinen Sohn zum Kardinal machte und seine Familie, die Borgias, zu einer der reichsten in Italien, Papst Alexander VI. sagte auch deutlich, was er als Gegenleistung erwartete: Die Stärkung des echten christlichen Glaubens – durch die Unterwerfung der Ureinwohner. Und ihre Missionierung:
Sprecher:
Von allen Werken zum Wohlgefallen der Allerchristlichsten Majestät, die uns am Herzen liegen, ist es gewiss das größte, dass in unserer Zeit der katholische Glaube und die christliche Religion erhöht und überall gestärkt und verbreitet werden, dass man für das Heil der Seele Sorge trägt und dass man barbarische Völker unterwirft und dem echten Glauben zuführt.
Autor:
Als Papst Alexander VI. sich um das Seelenheil der Indianer sorgte und ihr Land verschenkte, wussten diese noch nichts vom Papst und vom christlichen Gott. Sie beschworen Manitu, den Großen Geist, verehrten Mutter Erde, die Sonne und eine Vielzahl von belebten und unbelebten Wesen. Sie waren davon überzeugt, dass die ganze Natur beseelt ist, nicht nur Tiere und Pflanzen, auch Flüsse und Felsen. Ja, das ganze Universum.
Sprecher:
Wir glauben,
Autor:
… sagte der Sioux-Indianer Ohiyesa,
Sprecher:
Wir glauben, dass der Geist die ganze Schöpfung erfüllt, und dass jedes Geschöpf in gewissem Grade eine Seele hat, auch wenn diese Seele sich ihrer nicht unbedingt bewusst ist. Der Baum, der Wasserfall, der Grizzly-Bär, alles verkörpert eine Kraft. Und ist als solche ein Gegenstand der Ehrfurcht.
Autor:
Wenn die Indianer einen Büffel töteten, baten sie das Tier, ihren Bruder, um Vergebung. Auf dem riesigen Kontinent gab es hunderte von Stämmen – mit unter-schiedlichen Sprachen.
Es war ein naturverbundenes, schönes, und friedliches Leben – wenn man von Hungersnöten absieht und den gar nicht so seltenen und ziemlich grausamen Kriegen zwischen den Stämmen.
Die Indianer waren selbstbewusst und stolz. Oft von beeindruckendem Körperwuchs und mit schönen Gesichtern. Einer der ersten Missionare in Neu-Frankreich, dem heutigen Kanada, der Jesuit Paul le Jeune, schwärmte 1634:
Sprecher:
Sie sind groß, aufrecht, stark, wohlproportioniert, flink. Bei ihnen lässt sich nichts Verweichlichtes erkennen. Hier sehe ich auf den Schultern dieses Volkes das Haupt eines Julius Caesar sitzen, das eine Pompeius, eines Augustus oder anderer, die ich in Frankreich auf Papier gezeichnet sah oder auf Medaillen.
Autor:
Die Unterwerfung und Missionierung der Neuen Welt verlief nicht ganz so, wie es sich die Spanier und der Papst gedacht hatten. Obwohl Alexander VI. zunächst die ganze Neue Welt für alle Zeit den Spaniern geschenkt hatte, mussten die sich auf die Eroberung Latein- und Südamerikas beschränken. Die erstarkten Franzosen und Engländer teilten sich das nördliche Amerika.
Zu den Indianern an der amerikanischen Ost-Küste kamen rund hundert Jahre lang lediglich Händler und Entdeckungsreisende. Erst 1607 gründeten die Engländer dort ihre erste feste Siedlung. Kurz zuvor hatten schon die Franzosen nördlich von Cape Cod zwei Siedlungen errichtet und bauten 1608 ihre dritte, sehr erfolgreiche Niederlassung – Quebec.
Doch schon nach kurzer Zeit erwies sich der Kontakt mit den christlichen Besuchern und Siedlern als wenig segensreich für die Indianer. Schon 1616 berichtete der Jesuit Pierre Biard an seine Ordensoberen in Europa:
Sprecher:
Sie wundern und beklagen sich oft darüber, dass sie seit ihrem Umgang und Handel mit den Franzosen in großer Zahl vom Tode heimgesucht und entvölkert werden. Und sie zeigen der Reihe nach an Hand der Küstenstriche auf, wie sie in dem Maße, in dem sie mit uns mehr zu handeln begonnen hätten, von Krankheiten dahin gerafft worden wären.
Autor:
Die von den Europäern eingeschleppten Krankheiten, führten zum Aussterben ganzer Stämme. Verheerende Auswirkungen hatte aber auch der Alkohol, den skrupellose Händler immer wieder zum Tausch gegen Felle anboten, obwohl die Indianer das Feuerwasser nicht vertrugen und schnell süchtig wurden.
Die Jesuiten erlernten die Sprache der Indianer. Sie bemühten sich, ihre Religion zu verstehen. Dem Jesuiten Paul le Jeune gelang dies nicht immer: Manitu blieb für ihn ein Dämon und die Heiligen Männer der Indianer, die Medizinmänner, waren für ihn Hexenmeister.
Aber Paul le Jeune sah voller Freude, dass der Glaube der Indianer vielleicht doch nicht so weit vom christlichen entfernt war. 1636 berichtete er seinen Ordensoberen von Huronen, die einen „gewissen Gott“ anbeten:
Sprecher:
Da die armseligen Wilden in ihrem Menschsein Gott nicht ganz verkennen konnten, haben sie Gott in der äußeren Erscheinung der Geschöpfe gesucht und erkannt. Sie wenden sich an die Erde, an die Flüsse, die Seen, die gefährlichen Felsen, vor allem aber an den Himmel und glauben, dass dies alles beseelt sei.Wenden sie sich an den Himmel, sprechen sie die Worte: „Himmel, das reiche ich dir zum Opfer, erbarme Dich meiner, stehe mir bei!“
Bei fast allen ihren Bedürfnissen wenden sie sich an den Himmel. Und verehren die großen Himmelskörper vor allen anderen Geschöpfen. Vor allem darin erkennen sie etwas Göttliches.Ich sage dies deshalb, damit ich aufzeigen kann, wie leicht es mit der Zeit und mit göttlichem Beistand sein wird, diese Völker zur Anerkennung ihres Schöpfers zu führen. Denn sie verehren schon jetzt ein Wesen, das ein so perfektes Abbild unseres Herrn darstellt. Und ich würde sogar behaupten, dass sie Gott selbst verehren, ohne dessen eingedenk zu sein.
Sie stellen sich nämlich vor, dass es im Himmel eine Macht gibt, die die Jahreszeiten regelt, die Winde und die Fluten des Meeres im Zaum hält und ihnen in allen Nöten beisteht. Man fürchtet sogar den Zorn dieser Macht und ruft sie als Zeugen herbei, wenn man ein wichtiges Versprechen abgibt.
Und sie sagen: Der Himmel hört, was wir heute machen. Und ich würde gern sagen: Mein Gott erhör sie und zeige Dich ihnen, denn an Dich wollen sie sich wenden.
Autor:
Aber es sollte sich zeigen, dass es bei der Missionierung der Huronen an göttlichem Beistand fehlte – und die Indianer auch von Manitu und allen guten Geistern verlassen wurden. Zwar traten tatsächlich viele Huronen zum christlichen Glauben über und lebten unterstützt von den Missionaren in christlichen Siedlungen. Aber die wurden am 16. März 1649 von einer Übermacht der Irokesen überfallen, den Erbfeinden der Huronen. Die Irokesen töteten erbarmungslos Männer, Frauen und Kinder. Zwei Missionare wurden unter unvorstellbaren Qualen zu Tode gefoltert.
Sprecher:
Die überlebenden Anhänger des Christentums zogen sich auf die dem Festland vorgelagerte Insel zurück. Im Winter starben viele von ihnen an Hunger, Kälte oder an den grassierenden Epidemien. Im Frühling setzten erneut Irokesen-Angriffe ein, sodass die Schwarzröcke, wie die Jesuiten oft genannt wurden, jede Hoffnung auf gaben und im Jahr 1650 mit einer Schar von 300 Huronen nach Quebec zogen. Durch das gescheiterte Projekt der Huronen-Mission waren 600 Menschen von einer Nation übrig geblieben, die einige Jahre zuvor noch 30.000 gezählt hatte.
Autor:
Heute leben in den USA und Kanada mehr als zwei Millionen Indianer – mehr als je zuvor. Und die meisten sind Christen. Aber die Tragödie der Huronen-Mission ist symptomatisch für die Missionsgeschichte in Nordamerika. Lange Zeit gab es kaum Erfolge und immer wieder dramatische Rückschläge. Viele Indianer verwiesen auf ihre eigenen Götter.
Und auf ihre bitteren Erfahrungen mit den Christen, die ihnen Krankheiten und Feuerwasser gebracht hatten. Und die sie zwangen, immer mehr von ihrem Land zu verkaufen – oder aber gegen die Weißen zu kämpfen.
Im Verhalten von Siedlern, Händlern, Regierungsvertretern und Soldaten konnten die Indianer wenig von den christlichen Werten erkennen, von denen die Missionare, die Schwarzröcke, erzählten.
1782, während des Unabhängigkeitskrieges, kam es in Gnadenhütten, einer Siedlung der Herrnhuter Missionare, zu einem Massaker. Amerikanische Soldaten nahmen knapp hundert christliche Indianer in Arrest, versprachen zunächst, sie umzusiedeln, verkündeten dann aber, man werde sie hinrichten. Die Indianer verbrachten ihre letzte Nacht betend – zum christlichen Gott. Am Morgen wurden sie erschlagen – 28 Männer, 29 Frauen und 39 Kinder.
Ein Häuptling der Delawaren empörte sich nach dem Massaker über die christliche Doppelmoral:
Sprecher:
Der Weiße Mann erzählt uns immer wieder von dem großen Buch, das Gott ihm gegeben hat. Sie reden uns ein, dass jeder schlecht ist, der nicht an das Buch glaubt.Sie erzählen uns viel und behaupten, das stünde alles in dem Buch, und wollen, dass wir es glauben. Wir hätten das wahrscheinlich getan – wenn wir gesehen hätten, dass sie das, was sie glauben, auch selber tun. Aber nein! Während sie das dicke Buch in der einen Hand hielten, hielten sie in der anderen ihre Mordwaffen – Gewehre und Schwerter, um uns zu töten. Ja, das taten sie. Sie ermordeten die, die an das Buch glaubten, genauso wie die, die nicht daran glaubten. Sie machten keinen Unterschied.
Autor:
Viele Indianer zogen es vor, weiter zur Mutter Erde zu beten, weiter ihre Sonnentänze zu tanzen. Auch deshalb, weil die Christen untereinander über den Glauben stritten.
Wenn ein Missionar erzählte, wie Gott in sechs Tagen die Welt schuf und wie Eva die Sünde über die Menschen brachte, hörten die Indianer in der Regel aufmerksam zu. Und erzählten eigene Schöpfungsmythen. Wenn sich der Missionar dann bemüßigt fühlte, die Geschichten der Indianer als Märchen abzutun, wurde ihm eine Lektion erteilt.
Sprecher:
Mein Bruder, mir scheint, du bist in den Regeln der Höflichkeit nicht sehr erfahren. Wir haben diese Regeln befolgt und deine Geschichte geglaubt. Warum willst du die unsrige nicht glauben?“
Autor:
Und als 1805 an einem schönen sonnigen Tag ein Missionar aus Boston zu den Seneca-Indianern kam und sie darüber aufklärte, dass es nur einen einzigen Weg zu Gott gäbe, da antwortete ihm Häuptling Red Jacket mit einer Art theologischem Grundsatzreferat:
Sprecher:
Bruder, du sagst, es gibt nur einen Weg, den Großen Geist zu verehren und ihm zu dienen. Wenn es nur eine Religion gibt, warum seid ihr Weißen dann selbst so uneins darüber? Da ihr doch alle das Buch lesen könnt! Bruder! Wir verstehen diese Dinge nicht. W i r streiten niemals über Religion.Bruder, vielleicht ist eure Religion für euch die richtige. Ihr sagt, dass ihr den Sohn des Großen Geistes getötet habt. Vielleicht ist dieses die Ursache für alle eure Probleme und all euer Unglück. Doch Bruder, vergesst nicht, dass wir an diesem Mord keinen Anteil hatten. Wir distanzieren uns davon, denn wir lieben den Großen Geist. Und da wir niemals etwas so Unrechtes, so Unbarmherziges und Frevelhaftes getan haben, ist uns der Große Geist weiterhin gewogen.
Wir können eure Religion nicht zu unserer machen. Doch wenn ihr unsere Religion annehmen wollt, so glauben wir, dass es euch glücklicher und in den Augen des Großen Geistes willkommener machen wird. Geht hin und lehrt erst einmal die Weißen.
Autor:
Viele Indianer wollten ihre eigene Religion behalten, wollten ihr Land behalten, das ihnen heilig war, und ihre eigene Lebensweise.
Sprecher:
Bruder! Der Große Geist hat uns alle erschaffen. Aber er hat seine weißen und roten Kinder sehr unterschiedlich gemacht. Er hat uns eine andere Gesichtsfarbe und andere Sitten gegeben. Der Große Geist tut recht. Er weiß, was am besten ist für seine Kinder. Wir sind zufrieden.
Autor:
Teil der Natur zu sein, eingebunden sein in den natürlichen Kreislauf, in das Zusammenwirken aller Dinge im Universum – das bedeutete für die Indianer frei zu sein. Denn der Große Geist, die Sioux nannten ihn Wakan Tanka, wollte, dass alle Wesen frei sind.
Sprecher:
Wakan Tanka lehrt die Tiere und Pflanzen, was sie tun sollen. Wakan Tanka lehrt die Vögel, Nester zu bauen, doch die Nester der Vögel sind nicht gleich. Wakan Tanka gibt ihnen nur den ungefähren Plan. Manche bauen bessere Nester als die anderen. Manche Tiere sind mit sehr einfachen Wohnungen zufrieden, während andere sich sehr schöne machen. Kein Vogel, auch innerhalb seiner Art, ist wie der andere, und so ist es auch mit den anderen Tieren und den Menschen.
Der Grund, dass Wakan Tanka nicht zwei Vögel, Tiere oder Menschen gleich macht, ist, dass jeder ein freies und einmaliges Wesen sein soll.
Autor:
Die Freiheit der Indianer schwand dahin seit die ersten Europäer den Kontinent betraten. Die freien und einmaligen Indianer sollten werden wie die Weißen.
General Oliver Otis Howard galt als guter Christ, setzte sich für freigelassene Sklaven ein, sah bei Konflikten mit Indianern Gewalt nur als letzte Option. Er verstand sich mit dem friedliebenden Häuptling Joseph. Und doch drohte er den Nez Percé im Mai 1877 mit Gewalt, falls sie nicht in das ihnen zugewiesene Reservat ziehen sollten.
Ein älterer Häuptling, Toohoolhoolzote, der wenig später bei Kämpfen mit der Armee getötet wurde, erwiderte dem General aufgebracht:
Sprecher:
Der Große Geist erschuf die Welt so, wie sie ist, so, wie es ihm gefallen hat. Einen Teil erschuf er für uns, damit wir darauf leben. Ich begreife nicht, wo du das Recht hernimmst zu sagen, dass wir nicht in dem Land leben dürfen, das er uns gab. Wer bist du? Bist du der Große Geist?
Autor:
Die Europäer kamen im Auftrag Gottes – so hatte es Papst Alexander VI. erklärt. Aber der Gott des Weißen Mann schien sich nicht wirklich für die Indianer zu interessieren. Häuptling Seattle zog 1853 deprimiert Bilanz:
Sprecher:
Euer Gott liebt euer Volk und hasst meines. Der Gott des Weißen Mannes kann seine Roten Kinder nicht lieben, Wie können wir da Brüder werden? Wie kann euer Vater unser Vater werden?
Nein, wir sind zwei verschiedene [Wesen] und müssen es immer bleiben. Eure Religion wurde von dem ehernen Finger eines erzürnten Gottes auf Steintafeln geschrieben, damit ihr sie nicht vergesst. Unsere Religion steht geschrieben in den Herzen unseres Volkes.
* * *
*Detlef Kühn, Autor und Publizist, NDR-Kultur: Glaubenssachen, 12.11.2017
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