Hindou Oumarou Ibrahim*, eine Nomadin aus dem Tschad, berichtet und klärt auf über die Wetterveränderungen in der Sahelzone
Das Wetter in der Sahelzone ist durch den Klimawandel außer Kontrolle geraten, sagt Hindou Oumarou Ibrahim aus dem Tschad. Die 32-Jährige ist Koordinatorin des Femmes Peuples Autochtones du Tchad, einer Organisation, die sich für die Belange der einheimischen Frauen einsetzt. Sie gehört außerdem dem Indigenous Peoples of African Coordinating Committee an. Sie war schon mehrfach auf UN-Klimakonferenzen, um über die Situation in ihrem Land zu berichten und berät die Regierung im Tschad zum Umgang mit dem Klimawandel. Im Interview für eine überregionale deutsche Tageszeitung spricht die Nomadin über die dramatischen Veränderungen des Wetters in ihrer Heimat – und über die Folgen für die Bevölkerung.
Wie kommt Ihr Volk mit dem Klimawandel zurecht?
Der Klimawandel trifft im Tschad vor allem die Fischer, Jäger und Bauern. Als Nomaden haben wir besonders mit Wassermangel zu kämpfen. Die Seen trocknen aus und die Jahreszeiten kommen nicht mehr regelmäßig, so wie es früher war. Letztlich geht es um das Überleben der Menschheit – nur uns trifft es eben zuerst.
Was hat sich klimatisch verändert?
Normalerweise haben wir drei Jahreszeiten: Die Regenzeit, die zwischen drei und sechs Monaten dauert, die sechsmonatige Trockenzeit und die kalte Jahreszeit, die etwa zwei bis vier Monate dauert. Seit 2013 haben wir nur noch zwei Jahreszeiten: die trockene, die sehr viel länger dauert, und die Regenzeit, in der es nicht mehr durchgehend regnet. In einigen Wochen wird es überhaupt nicht mehr regnen, bis der Niederschlag dann auf einmal sehr heftig kommt. Das führt zu Überschwemmungen, welche die Felder der Bauern zerstören. Die kalte Jahreszeit haben wir oft überhaupt nicht mehr – auch dieses Jahr nicht. In der Sahelzone haben wir die weltweit am meisten unfruchtbar gewordenen Böden.
Wie wirkt sich das auf das tägliche Leben aus?
Es ist ein Kampf um Ressourcen. Bauern, Rinderzüchter und Fischer streiten sich um Wasser und Nahrungsmittel. Gemeinden und Volksgruppen feinden sich an, es wurde schon Menschen deswegen umgebracht. Viele versuchen, dorthin zu gehen, wo es noch Wasser, Weideland und Nahrungsmittel gibt. Manche von unseren Leuten sind bis in den Kongo gelaufen, wo es große Wälder gibt. Das führt natürlich zu Konflikten mit den Einheimischen.
Wie ist das Wetter diesen Sommer im Tschad?
Wir leiden in der Trockenzeit unter einer Hitze von bis zu 50 Grad. In der Wüste sind es bis zu 52 Grad. Wenn die Europäer sagen: „Es ist schön heute“, dann meinen sie, dass die Sonne scheint, sie ziehen sich ein kurzes Hemd an und holen die Sonnenbrille raus. Wir fragen uns, wo wir frisches Wasser finden und wie weit wir dafür gehen müssen.
Die Sommer sind also ungewöhnlich heiß?
Normalerweise haben wir maximal 45 Grad. Und das auch nicht die ganze Zeit. Mittlerweile gibt es immer mehr Hitzetote in der Trockenzeit. Diese toten werden aber nicht gezählt. Sie sterben im Stillen. Ein Freund von mir weinte um seinen Vater, der in der Hitze gestorben war. Da sagte der Friedhofswärter zu ihm: Warum weinst du? Heute sind schon fünfzig Leute beerdigt worden. Jedes Mal, wenn es so heiß werden soll, haben wir große Angst, dass jemand krank wird und an einem Herzstillstand oder an Kreislaufversagen stirbt.
Diskutieren die Gemeinden über den Klimawandel?
Anfangs sagten viele Menschen im Tschad, dass wir verdammt seien, weil der Regen nicht mehr regelmäßig kam. Wir hätten gegen Gottes Regeln verstoßen, deshalb würde er uns nun bestrafen. Jahrelang wurde gebetet und es wurden Opfergaben verteilt, damit es regnet. Sicher ist es wichtig zu beten, aber mittlerweile haben sie verstanden, dass es ein größeres Problem ist. Allerdings fehlen uns die Lösungen. Wir haben noch nie eines der Anpassungsprojekte gesehen, von denen auf den Klimakonferenzen die Rede ist. Die Menschen werden alleingelassen und müssen sich auf ihre traditionellen Hilfsmittel verlassen.
Wie versuchen sich die Gemeinschaften zu schützen?
Ob es regnet oder nicht, entschiedet darüber, ob wir weiterziehen. Anhand einiger Früchte können wir sogar ungefähr sehen, wie viel es im nächsten Jahr regnen wird. Wenn sie wenig Fruchtsaft enthalten, bereitet sich der Baum auf ein regenarmes Jahr vor. Für die Tagesvoraussagen schauen wir uns die Wolken an, um zu wissen, ob sie schwarz genug sind und Regen bringen. Auch der Wind erzählt uns, wann der nächste Regen kommt. Wenn die Insekten aus der Erde kommen, um ihre weißen Eier in Sicherheit zu bringen, packen auch wir Menschen unsere Sachen, um uns vor dem Regen zu schützen.
Welche Rolle spielen die Frauen in dieser schwierigen Zeit?
Die Frauen bleiben immer öfter allein mit der Familie zurück, weil ihre Männer in die Städte oder in andere Regionen wandern. Die Männer versuchen, dort Arbeit zu finden und das Geld zu ihren Familien zu schicken. Die familiäre Last liegt in dieser Zeit auf den Schultern der Frauen, die sich um die Alten und die Kinder kümmern müssen. Man spricht viel zu wenig über diesen alltäglichen Kampf der Frauen um ihre Familien. Sie opfern ihr Leben, um die Familie zu retten.
Wie sollte denn die internationale Gemeinschaft den Frauen und Familien helfen?
Es gibt Instrumente wie den Gründen Klimafonds und den Anpassungsfonds. Allerdings ist der Zugang zu diesen Hilfen sehr schwierig. Das meiste Geld aus dem Anpassungsfonds ist nach China gegangen, weil man dort die Ressourcen hat, die Gelder zu beantragen. Wir befürchten, dass es mit dem Grünen Klimafonds ähnlich wird: Die großen Länder werden einen Großteil der Gelder einstreichen und die ärmsten und kleinsten Länder werden es nicht schaffen, Strukturen der Geldverwaltung aufzubauen. Außerdem reichen die Hilfen keineswegs aus. Auf den UN-Verhandlungen geht es immer um Hilfen ab 2020 – aber bis dahin sind es noch fünf Jahre!
Was wollen Sie den Klimadiplomaten mit auf den Weg geben?
Ich will ihnen sagen, dass der Mensch im Zentrum der Verhandlungen stehen muss. Denn es ist der Mensch, der den Klimawandel verursacht hat. Der Mensch muss dieses Problem also auch lösen. Wenn wir uns immer neue Mechanismen ausdenken, wie der Markt das Klimaproblem lösen soll, wird es nie funktionieren. Vielleicht muss es erst eine große Katastrophe in einem Industrieland geben, damit die Politiker dort aufwachen. Sie können sich einfach nicht vorstellen, was es bedeutet, mit diesem Wetter zu leben, das außer Kontrolle geraten ist. Wir im Tschad erleben schon die schrecklichsten Folgen der Klimaveränderung – aber wir haben keine Stimme.
*Das Interview mit Hindou Oumarou Ibrahim führte Susanne Götze, Redakteurin beim Online-Magazin klimaretter.info [Quelle: Frankfurter Rundschau, Wissen & Campus, 13.08.2015, Seite 28)
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