Der schlechte Scherz vom Kap

Südafrikas Präsident Zuma verwandelt Nelson Mandelas hoffnungsvolle Regenbogennation in einen „halbdemokratischen“ Patronage-Staat – und nun will er sich ausgerechnet in Davos präsentieren.

von Johannes Dieterich*

JOHANNESBURG, 20.01.2016: Um den südafrikanischen Präsidenten kursieren viele Witze, vielleicht mehr als über jeden anderen Staatschef der Welt. Der jüngste wurde kürzlich vom Präsidentenamt in Pretoria verbreitet: „Jacob Zuma wird zum Wirtschaftsgipfel in Davos erwartet …“

Wer jetzt nicht lacht, ist entweder Südafrikaner (denen ist das Lachen längst vergangen) oder er hat die jüngsten Entwicklungen am Kap der Guten Hoffnung nicht verfolgt. Sonst lacht nämlich jeder, wenn von Zuma und einem Wirtschaftsgipfel in einem Satz die Rede ist: Dem Präsident wird nachgesagt, von Ökonomie so viel zu verstehen wie ein Cowboy vom Melken. Das stellte der Chef des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) kurz vor Weihnachten wieder unter Beweis, als er den verdienten Finanzminister Nhlanhla Nene urplötzlich feuerte – und dann verblüfft mit ansehen musste, wie die Landeswährung samt Aktienwerten in den Keller sackten. Die noch immer von Weißen dominierte Wirtschaft habe ihn „falsch verstanden“, befand Zuma verstimmt, bevor er seine Entscheidung auf Druck des ANC zumindest teilweise wieder rückgängig machen musste: Er habe doch nur von seinem Recht der Wahl seiner Minister Gebrauch gemacht.

In Wahrheit hatten die Finanzmanager den Staatschef nur allzu gut verstanden. Indem er ein völlig unbeschriebenes Blatt, den ANC-Hinterbänkler David van Rooyen, zu Nenes Nachfolger kürte, machte Zuma aus dem Motiv seiner Kabinettsumbildung keinen Hehl: Er wollte einen schwachen, ihm gefügigen Finanzminister. Nene hatte zwei Lieblingsprojekte des Präsidenten abschießen wollen – den sündhaft teuren Erwerb von sieben russischen Atomkraftwerken sowie den Kauf von zehn Airbus-Flugzeugen, den Zumas Mitarbeiterin Dudu Myeni (Gerüchten zufolge seine Geliebte) im Aufsichtsrat der hochverschuldeten Fluggesellschaft SAA durchzusetzen suchte. Warum die beiden Mega-Deals dem Präsidenten so am Herzen lagen, darüber gibt es am Kap nur eine Erklärung: Sie hätten dem bereits der Korruption und Veruntreuung von Steuern bezichtigten Staatschef weitere Gelegenheiten zum Einkassieren von Schmiergeld beschert.

Südafrikas Kommentatoren zufolge handelte es sich bei Nenes Absetzung jedoch nicht nur um einen schlecht getarnten Bereicherungsversuch, sondern um einen Frontalangriff auf eine der letzten noch funktionierenden Institutionen am Kap der Guten Hoffnung. Sämtliche Parteigremien, die Spitzen der Staatsanwaltschaft, den Geheimdienst, den öffentlichen Rundfunk sowie die staatlichen Konzerne des Landes hat Zuma bereits unter seine Kontrolle gebracht, während sich das Amt des „Public Protectors“ (eine Art Ombundsfrau|Ombudsmann), die Gerichtsbarkeit sowie die Presse unter heftigem Beschuss befinden.

Der „toxische Führer“ Zuma sei dabei, sämtliche von Nelson Mandela in die Wege geleiteten Errungenschaften des Neuen Südafrikas zunichte zu machen, schimpft der Johannesburger Kolumnist Justice Malala: „In sechs Jahren zerstörte der ANC-Chef alles, was andere Führer seiner Partei mehr als hundert Jahre lang aufgebaut hatten“.

Die Bilanz der inzwischen knapp sieben Jahre alten Zuma-Regierung ist in der Tat erschütternd. Ökonomisch steht das Neue Südafrika so schlecht wie seit seiner Geburt vor 22 Jahren nicht da, nach Auffassung des Politologen Heinrich Matthee ist die Regenbogennation zu einem „halbdemokratischen Hybrid-Staat“ verkommen. Das Wachstum dümpelt unter 1 Prozent vor sich hin (manche Analysten sagen dem Kap sogar eine Rezession voraus), dafür schießt die Arbeitslosigkeit mit offiziell 25, inoffiziell über 40 Prozent in immer schwindelerregendere Höhen. Die öffentliche Schuldenlast ist auf über 50 Prozent des Bruttoinlandproduktes geklettert: Wenn es so weiter geht, wird Südafrika bald Hilfe beim Weltwährungsfonds suchen müssen – mit allen Konsequenzen, die das für die Souveränität des einstigen afrikanischen Vorzeigestaats mit sich bringt. Eine weitere Abwertung der Investitionsempfehlung durch die Rating-Agenturen scheint schon heute festzustehen: Dann hat das Kap der Guten Hoffnung endgültig Schrott-Status. Und ausgerechnet vor diesem Hintergrund wollte Zuma einen der letzten seiner international noch angesehenen Minister austauschen: Seine Entscheidungen seien „unberechenbar und verschwommen“, meint der Politologe Mzukisi Qobo, „seine Politik prägt destruktive Unklarheit“.

Dass es so kommen würde, hatte mancher schon zu Beginn von Zumas Amtszeit vor fast sieben Jahren befürchtet. Vorgänger Thabo Mbeki suchte seinen Vize mit allen Mitteln von der Nachfolge fern zu halten. Doch weil sich Mbeki mit seinem arroganten Führungsstil dem ANC heillos entfremdete, erreichte er nur das Gegenteil. Zuma wurde nicht wegen seiner Fähigkeiten, sondern wegen seiner Feindschaft zu Mbeki als Präsident gekürt. Der joviale Glatzkopf versprach allen ein guter Freund zu sein, vor allem dem von Mbeki vernachlässigten linken Parteiflügel. Heute zählen der damalige Chef des Gewerkschaftsbundes Cosatu sowie der einstige Präsident der ANC-Jugendliga zu Zumas schärfsten Kritikern. Beide sind längst entmachtet, beziehungsweise aus der Partei entfernt.

Zuma hat nie eine Schule besucht und erst auf der Gefängnisinsel Robben Island Lesen und Schreiben gelernt. Wenn er eine Zahl mit mehr als sechs Stellen ablesen muss, verhaspelt er sich meist: Doch bei der Zementierung seiner Macht bewies er genialische Bauernschläue. Er verwandelte Nelson Mandelas inklusive Regenbogennation in einen von Zulus dominierten Patronage-Staat. Das Land wird nicht von den besten Experten, sondern von den gehorsamsten Schmarotzern regiert. Selbst die dunkelhäutige Intelligenzia verabscheut den Präsidenten: Im Gegenzug nennt er sie abfällig die „clever blacks“. Der Karikaturist Zapiro zeichnet Zuma nur noch mit einem aus seinem mächtigen Schädel ragenden Duschkopf, weil er während eines Vergewaltigungsprozesses auf die Frage des Richters, wie er sich denn gegen den HIV-positiven Status seiner Bettgenossin geschützt habe, antwortete: „Ich habe danach geduscht.“ Ein Maler stellte den Polygamisten mit einer langen Lanze als Penis dar: Eine Anspielung auf Zumas sexuelle Hyperaktivität, die ihm sechs Frauen, zahlreiche Geliebte und (mindestens) 20 Kinder bescherte.

Seine Großfamilie stellt den traditionsbewussten Zulu vor erhebliche Herausforderungen. Vor seiner Wahl zum ANC-Chef war er dermaßen klamm, dass er die Hilfe des Geschäftsmanns Schabir Shaik in Anspruch nahm: Zum Dank für dessen regelmäßige Zahlungen schusterte ihm Zuma Teile eines umfangreichen Waffendeals zu. Wegen ihres „korrupten Verhältnisses“ wurde Shaik zu 15 Jahren Haft verurteilt – dagegen wurde der Prozess gegen seinen finanzbedürftigen Freund auf massivsten Druck der Regierungspartei hin eingestellt.

Dennoch hielt Zuma auch als Staatschef an der Nähe zu finanzkräftigen Sponsoren fest. Die aus Indien stammende Gupta-Familie ist mit zahllosen Joint Ventures aufs Engste mit den Zumas verbandelt: In der Johannesburger Gupta-Villa werden die wichtigsten Regierungsentscheidungen getroffen. Schon mancher Minister wurde dorthin zitiert, um von seiner Ein- oder Absetzung zu erfahren. Die Familie erfreut sich beispielloser Privilegien: Zu einem Hochzeitsfest durfte ein Flieger aus Neu-Delhi auf dem Militärflughafen von Pretoria landen, damit die Gäste sich nicht mit ordinären Einreiseprozeduren aufhalten brauchten
Alles können jedoch auch die Guptas nicht bezahlen. Zumas privates Anwesen im Zululand nahm derartige finanzielle Ausmaße an, dass sich der Präsident 246 Millionen Rand (damals rund 2,5 Millionen Euro) aus der Staatskasse holen musste – um „die nötigen Sicherheitsvorkehrungen“ zu begleichen. Dazu zählten ein Schwimmbad, ein Empfangsgebäude, ein Amphitheater und ein Hühnerhof …

Den Aufschrei, der dem Villenskandal folgte, saß Zuma wie ein heimisches Hippopotamus aus. Stürmische Parlamentssitzungen, die vom Geheimdienst mit einer Blockierung des Handy-Signals begleitet und wiederholt mit einem verfassungswidrigen Polizeieinsatz beendet wurden, zeigten den Präsidenten stets fröhlich kichernd: Sein „Hehehehe“ fand sogar in Rap-Songs Eingang.

Dass der 73-Jährige noch immer bester Laune ist, hat er seiner auf das Zulu-Volk gegründeten Machtbasis zu verdanken: Die mitgliederstärkste ANC-Provinz KwaZulu-Natal wird niemals zulassen, dass ihr Pate vor dem Ende seiner Amtszeit 2019 abgelöst wird. Um die Zeit danach kümmert sich der Präsident derzeit selbst, indem er als Nachfolger nicht wie versprochen den fähigen Vizepräsidenten Cyril Ramaphosa, sondern seine Ex-Frau Nkosazana Dlamini-Zuma in Position bringt. Die hölzerne Dame, die der zahnlosen Afrikanischen Union als Kommissionsvorsitzende vorsteht, soll dafür sorgen, dass ihr Ex nach seiner Amtszeit nicht im Gefängnis landet. Bisher waren auch schwarze Südafrikaner immer stolz darauf, dass sich ihr Land von den zerbröselnden Staatsruinen des Kontinentes so deutlich unterscheidet. Bald wird dieser Unterschied jedoch Geschichte sein.

*Johannes Dieterich, Der schlechte Scherz vom Kap , FrankfurterRundschau, 20.01.2016, 8.

Ein Kommentar zu diesem Artikel bisher »

Kommentare zu »Der schlechte Scherz vom Kap«

  1. Da hat ein liberaler deutscher Journalist mal so richtig seiner (inherenten?) Verachtung dieser ungebildeten Afrikaner freien Lauf gelassen.

Kommentieren

Hinweis: Mit der Nutzung dieses Formulars erklären Sie sich mit der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website einverstanden. Wir speichern keine IP-Adressen bei Kommentaren.
Bitte beachten Sie die Datenschutzerklärung.

Erlaubtes XHTML: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner