Nicht selten kommt es vor, dass ein Unternehmen zahlungsunfähig wird oder ein Staat droht, daran zu zerfallen, dass immer weniger seiner Angehörigen mit dem einverstanden sein können, was die Regierenden vorschlagen und in die Wege leiten. Griechenland, Argentinien, Somalia, Libyen … sind nur einige der bekanntesten Beispiele. Die Ursachen solcher Krisen sind meist vielschichtig – die Erklärungsversuche ebenso langwierig und kräftezehrend. Praktisch jedes Unternehmen, jedes Staatswesen, kann sich bald in einer solchen Zwickmühle befinden; nicht jedes kommt unbeschadet davon wieder heraus.
Ein kurzer Umriss, den der Journalist Gerd Höhler neulich in einer überregionalen Tageszeitung veröffentlicht hat, erläutert am Beispiel des EU-Mitgliedstaates Griechenland, wie zunächst einmal es zu so einem Engpass kommen kann. Höhler ist der Auffassung, die politischen Reformen, die jener Staat bereits vor 40 Jahren gebraucht hätte, um relativ krisenfrei zu wirtschaften und sich zu entwickeln, werden dem Land nun erst heute durch die Schuldenkrise abverlangt, die Griechenland nun bestehen muss.
Gerd Höhler berichtet [Frankfurter Rundschau, 25.07.2014] und erläutert:
„In dieser Woche gedenken die Griechen des 40. Jahrestags seit dem Sturz der Obristendiktatur und der Rückkehr zur Demokratie [1974]. Aber so richtige Freude will nicht aufkommen. Schließlich steckt das Land in der tiefsten Rezession seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Was auf den ersten Blick eine Staatsschuldenkrise ist, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Krise des politischen Systems. Ihre Wurzeln reichen zurück bis in die Jahre nach der Militärherrschaft.
Politische Wende
„Als Konstantin Karamanlis am 24. Juli 1974 nach zehnjährigem Exil in Frankreich auf dem Athener Flughafen Ellinikon landete, begann für Griechenland eine neue Ära: Die Obristen waren am Ende, nun wollte das Land zurück zur Demokratie. Dem 67-jährigen Karamanlis, der schon in den Jahren 1955 bis 1963 als Premierminister amtiert hatte, eilte der Ruf eines Ethnarchen voraus. Er bildete eine „Regierung der national Einheit“ und führte das Land im November 1974 zu freien Wahlen, die seine kurz zuvor gegründete konservative Neue Demokratie (ND) mit fast 55 Prozent der Stimmen klar gewinnen konnte.
„Bis heute sprechen die Griechen von der „metapolitefsi“, der „politischen Wende“. Doch ein wirklicher Neubeginn war es nicht. Ordnungspolitisch war Karamanlis durch das französische Exil geprägt, er setzte auf staatlichen Dirigismus. 1975 ließ Karamanlis die Commercial Bank of Greece, die dem Reeder Stratis Andreadis gehörte, ohne Entschädigung verstaatlichen. Weitere Verstaatlichungen folgten, wie die der Fluggesellschaft Olympic Airways, die der Staat vom legendären „Tankerkönig“ Aristoteles Onassis übernahm. Die meisten verstaatlichten Firmen rutschten tief in die roten Zahlen und bescherten dem griechischen Steuerzahler Milliardenverluste. Schlimmer noch: Die Enteignungspraxis schreckte in den 1970er Jahren ausländische Investoren ab, die das Land so dringend brauchte.
„Knapp ein Jahr nach dem Sturz der Junta, im Juni 1975, stellte Griechenland einen Antrag auf Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Vor allem der französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing, der deutsche Kanzler Helmut Schmidt und sein Außenminister Hans-Dietrich Genscher machten sich für eine Aufnahme der Griechen stark – mit dem Argument, es gelte die noch fragile griechische Demokratie durch die europäische Integration des Landes zu festigen.
„Am 1. Januar 2981 wurde das Land Mitglied der EWG. Auf die griechischen Strukturschwächen nahm die Gemeinschaft mit langen Übergangsfristen Rücksicht. Aber die meisten Reformen blieben schon im Ansatz stecken. Zwar flossen seit 1981 aus den Brüsseler Strukturfonds umgerechnet fast 73 Milliarden Euro nach Griechenland. Doch ein Großteil der Gelder versicherte. Keine Spur auch von einer grundlegenden Modernisierung des antiquierten Bildungswesens und der zentralistischen öffentlichen Verwaltung.
Klientelsystem, politische Vetternwirtschaft und Ämterpatronage
„Auch das griechische Klientelsystem, politische Vetternwirtschaft und Ämterpatronage wurden nicht angetastet. Die 1974 von Karamanlis gegründete ND und die Panhellenische Sozialistische Bewegung 8Pasok9 von Andreas Papandreou standen ganz in der Tradition der paternalistischen Klientelparteien alten Stils. Konservative und Sozialisten, die das Land seit dem Ende der Militärdiktatur abwechselnd regierten, versorgten ihre Gefolgsleute mit Jobs in der Verwaltung und bei den Staatsbetrieben. Diese systematische Plünderung des Staates, die mit der Anhäufung immer höherer Schulden einherging, war die eigentliche Ursache der aktuellen griechischen Krise.
„Auch eine andere Altlast, die bis heute schwer auf den Schultern der Griechen lastet, datiert aus den Jahren nach dem Ende der Obristenherrschaft. Beim Sturz der Junta standen die beiden Nato-Partner Griechenland und Türkei wegen des Zypernkonflikts am Rand einer bewaffneten Auseinandersetzung. Zwar gelang es Karamanlis, die Kriegsgefahr abzuwenden. Aber die Zypernkrise von 1974 markiert den Beginn des griechisch-türkischen Wettrüstens. Die immensen Militärausgaben brachten Griechenland an den Rand des Bankrotts. Erst die Krise erzwang einen Kurswechsel. Die Rüstungsausgaben wurden drastisch zusammengestrichen, von 7,7 Milliarden Euro 2009 auf 4,5 Milliarden im vergangenen Jahr.
„Nun endlich beginnen jene Reformen, die schon 1974 fällig waren. Unter dem Druck der internationalen Geldgeber muss Griechenland seine protektionistischen Wirtschaftsstrukturen aufbrechen, Staatsunternehmen privatisieren und die öffentliche Verwaltung entschlacken.
„Die Reformen stoßen allerdings auf Widerstände: Gewerkschaften, Zünfte und Interessenverbände sträuben sich gegen jede Veränderung. Auch die Rekultivierung der politischen Landschaft, die durch die Krise tief umgepflügt wurde, ist noch längst nicht abgeschlossen. Die Klientelmentalität ist tief verwurzelt. Sieger der Europawahl wurde die radikal-linke Syriza. Ihr Chef Alexis Tsipras hat die Klientelwirtschaft neu entdeckt. Er verspricht, Zehntausende Staatsbedienstete, die während der Krise entlassen wurden, wieder einzustellen.“
Griechenland – daraus was lernen!
Mir kommen junge Demokratien in den Sinn, die – wie Griechenland – erst in den zurückliegenden Jahrzehnten dazu kommen konnten und gekommen sind, den politischen und wirtschaftlichen Weg einzuschlagen, auf dem sie sich heute befinden: Simbabwe, Namibia, Südafrika insbesondere. Wie sehr wünsche ich mir, dass es ihnen gelingt, rechtzeitig Versäumtes nachzuholen und aus erkannten Sackgassen herauszufinden, um weitgehend krisenfrei und in Frieden leben und wirtschaften zu können.
Ben.
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