Boniface Mabanza, Befreiungstheologe aus dem Kongo, Sprecher der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) in Heidelberg, nimmt Stellung und beantwortet Fragen zur „Krise und die Hoffnungen eines Kontinents“ im Jahre der Fußball-Weltmeisterschaft 2010:
Wie steht es aktuell um Afrika?
Ich komme soeben von einem Aufenthalt im südlichen Afrika zurück. Dort fiebern die Leute der Fußball-WM entgegen. Ein Mega-Sportereignis von globaler Bedeutung, so was gab es dort noch nie. Südafrikas Regierung macht daraus klugerweise ein panafrikanisches Projekt, das nicht nur die eigene Nation, sondern alle Afrikaner anspricht.
Wie kritisch sieht ein afrikanischer Befreiungstheologe wie Sie die WM?
Anfangs überwog bei mir stark die Kritik. Denn die raffgierige FIFA, internationale Baufirmen und Tourismuskonzerne machen das große Geschäft. Die Mächtigen stellen sich groß dar, im Glanz der Fußballstars — doch was bleibt von all dem Spektakel am Ende wirtschaftlich bei der Not leidenden Bevölkerungsmehrheit hängen?
Haben Sie Ihr Urteil geändert?
Ja, ich sehe nach jahrelanger Auseinandersetzung nun stärker das Positive. Zum Beispiel werden in den Austragungsstädten leistungsfähige öffentliche Nahverkehrssysteme gebaut, eigens für die WM. Dies geschieht in einem Staat, dessen Verkehrswesen auch anderthalb Jahrzehnte nach dem Ende des herrschenden Apartheid-Systems immer noch ein Apartheid-Verkehrswesen ist. Konkret: Millionenstädte wie Johannesburg oder Kapstadt haben keine leistungsfähige U-Bahn, kaum Stadtbusse, kein S-Bahnsystem. In der Apartheid fuhren die Weißen eben überall- hin mit ihrem privaten Pkw Diese Misere ändert sich nun — dank der WM. Ohne sie wären diese Investitionen für die Bürger nicht getätigt worden.
Was könnte die WM Südafrika bringen?
In der Republik Südafrika, die im Innern fragil, zwischen Reichen und Armen tief gespalten sowie bis heute vom Rassismus der Apartheid verwundet ist, geht es um Nation Building. Das heißt: Trotz aller schwer zu überwindenden Gegensätze soll eine neue, vielfarbige, moderne Nation entstehen, eine Regenbogen-Nation. Hierfür bietet die WM eine Chance. Der weise Nelson Mandela weiß, wie das gelingt: Er holte die Rugby-WM nach Südafrika und brachte die schwarzen und weißen Südafrikaner dazu, dem nahezu rein weißen Rugby-Team Südafrikas zuzujubeln. Großartig! Vor allem wenn man bedenkt, dass Rugby bis 1994 ein Prestigesport des Apartheid-Systems gewesen war. Auch beim Jubeln in den Stadien oder vor den Bildschirmen wächst eine neue Nation.
Erhoffen Sie sich das von der Fußball-WM?
Es gilt, den Moment, wo sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf Südafrika richtet, zu nutzen. Zum Beispiel, um Da im- 1er an den Pranger zu stellen und von dem Konzern, dessen Stern auf dem Trikot der deutschen Nationalelf prangt, Wiedergutmachungen zu fordern. Denn Daimler lieferte dem Apartheid-Regime die Unimog-Lkws, von denen aus das Apartheid-Militär mit Flammenwerfern und Geschützen in Schwarzen-Gettos schoss. In den zurückliegenden 15 Jahren ignorierte Daimler die Bitten um Wiedergutmachung permanent.
Wer wird nach Ihrem Wunsch Weltmeister?
Als Panafrikaner wünsche ich mir die Equipe der Elfenbeinküste im Endspiel gegen Gastgeber Südafrika … (lacht). Doch als Afrikaner, der gerne in Deutschland lebt und arbeitet, hoffe ich, dass unsere deutsche Elf optimal abschneidet. Zumal in ihr ja auch Profis mit afrikanischem oder türkischem Migrationshintergrund spielen.
Können Europäer Afrika echt verstehen?
Ich habe selten in Europa Menschen getroffen, die in der Lage sind, die extrem komplexen und widersprüchlichen afrikanischen Wirklichkeiten zu verstehen und einander richtig zuzuordnen. Auch diejenigen wohlmeinenden Europäer, die sich für eines der Länder Afrikas interessieren, etwa weil sie dort ein Entwicklungsprojekt unterstützen, verstehen das, was sie bei Besuchen oder aus Mails, Filmen oder Briefen erfahren, oft zu eindimensional.
Wie ist, im Kern, Afrika?
Afrika ist, im Tiefsten, so großzügig und großherzig. Mehr als sämtliche übrigen Teile der Welt. — Afrika wurde von europäischen, amerikanischen und arabischen Sklavenhaltern im Verein mit einheimischen Despoten ausgebeutet und erniedrigt, Jahrhunderte lang. Später litt Afrika unter Europa und den Kolonialmächten, die es 1884 in Berlin aufteilten und ausbeuteten. Bis heute erleidet Afrika Rassismus und Herablassung sowie brutale Ausbeutung. Hierbei wirken Afrikas Eliten auf das Massivste mit. Doch Afrikas Menschen begegnen den Weißen, den Fremden aus den früheren Täter-Nationen, in der Regel freundlich, ohne Ressentiment und mit Respekt. Afrika ist nicht
nachtragend, anders als manch andere Region der Erde.
Woran krankt Afrika am meisten?
Afrika leidet am meisten unter der rücksichtslosen Außenorientierung seiner Eliten. Denn sie verhindert eine endogene, innere Entwicklung Afrikas. Deshalb fehlt eine nachhaltige Entwicklung. Die Wirtschaft ist auf den Export gerichtet, stärker als sonst wo in der Welt. Weil die Preise für die Güter, die Afrika der Welt liefert, so gering gehalten werden, vegetiert der potenziell reiche Kontinent, abgesehen von wenigen Ausnahmen, materiell im Elend.
Das Interview führte Thomas Seiterich: Publik-Forum 9/2010.
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