DIE REGIERUNGSPARTEI UND GROSSE TEILE DER OPPOSITION IN SÜDAFRIKA WOLLEN AGRARLAND KÜNFTIG ENTSCHÄDIGUNGSLOS ENTEIGNEN KÖNNEN. Dazu strebt die Regierungspartei eine Verfassungsänderung an, die Enteignung ohne Entschädigung (expropriation without compensation – „EWC“) ermöglichen soll.
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JOHANNESBURG, Ende Februar 2018: Die Nationalversammlung im Parlament Südafrikas hat mit den Stimmen des African National Congress (ANC) und der Economic Freedom Fighters (EFF) beschlossen, einen Zusatz in Artikel 25 der Verfassung aufzunehmen. Dieser Zusatz sieht die Option der staatlichen Enteignung von privatem Agrarland ohne finanzielle Entschädigung (expropriation without compensation – “EWC”) vor. Eine Arbeitsgruppe soll dazu bis Ende August eine Formulierung erarbeiten. Benjamin Luig* berichtet und kommentiert:
Während das Finanzkapital in Südafrika gelassen bleibt und die Ratingagentur Moodys die Aussichten unter der Regierung des neuen Präsidenten Cyril Ramaphosa positiv bewertet, reagieren deutsche Medien panisch. Die FAZ schreibt vom „Blutigen Kampf um Boden“ und die Süddeutsche Zeitung warnt vor einem drohenden „neuen Rassenkonflikt“. Diese Beschreibungen sind nicht weit weg vom Narrativ der Suidlanders, eines rechtsradikalen Netzwerks, das seit Jahren international die wirre Theorie eines „White Genocide“ verbreitet. Unterstützung findet das Netzwerk auch bei US-Nazis wie David Duke und dem Ku-Klux-Klan.
Fakt ist: Das Verhältnis zwischen den weißen Farmern/Farmerinnen und den schwarzen Landarbeiterinnen/Landarbeitern ist extrem konfliktgeladen, das Arbeitsrecht im Agrarsektor wird flächendeckend verletzt. Es gibt zahlreiche Berichte über rassistische Übergriffe gegen Landarbeiter [und deren Angehörige] sowie zu Gewalttaten gegenüber Farmern. 74 „farm murders“ wurden laut Polizeistatistiken in dem Berichtsjahr 2016-17 dokumentiert. Allerdings wird bei den Opfern weder nach Hautfarbe noch nach sozialer Kategorie (Farmer/Farmerin, Kleinbauer/Kleinbäuerin, Landarbeiter/Landarbeiterin) unterschieden.
Gareth Newham vom Institute for Security Studies (ISS) argumentiert, dass die Kategorie “farm murders” insgesamt problematisch sei. Die Südafrikanische Menschenrechtskommission kam 2014 zu dem Schluss, dass Gewalt im Agrarsektor „nicht auf `Rasse´ basiert“ (South African Human Rights Commission, 2014, Report of the SAHRC Investigative Hearing into Saftey and Security Challenges in Farming Communities, S. 82.1). Zudem muss berücksichtigt werden, dass die Mordrate in Südafrika insgesamt sehr hoch ist. 2016/17 wurden landesweit 19.000 Morde dokumentiert.
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Vertreibung statt Landreform
Die eigentlichen Kernfragen werden in den deutschen Medien kaum diskutiert:
Weshalb ist die Landreform bisher gescheitert? Und wie sollte sie durchgeführt werden?
Als Nelson Mandela und der ANC 1994 die Regierung übernahmen, galt die umverteilende Landreform als eines der zentralen Vorhaben, um die wirtschaftlichen Apartheidsstrukturen zu überwinden. Laut Verfassung soll der Staat „im Rahmen seiner Möglichkeiten alle Schritte zu einer Landreform“ nutzen, explizit ist das Mittel der Enteignung vorgesehen – mit dem Zusatz, die Entschädigung dafür müsse „just and equitable“ sein.
Anstatt jedoch die Umverteilungspolitik offensiv anzugehen, suchte die Regierung Mandela den Rat der Weltbank und übernahm deren Konzept der marktbasierten Landreform, die einen freiwilligen Verkauf des Landes durch die Grundeigentümer vorsieht. Zudem sah die neue Regierung keinerlei Agrarreform vor, die schwarzen Bauern und Bäuerinnen Zugang zu Kapital, Beratung und Märkten verschafft hätte, sondern begrub –ganz dem neoliberalen Zeitgeist verpflichtet – diverse agrarpolitische Institutionen und staatliche Hilfen, von denen die weißen Farmer im Laufe des 20. Jahrhunderts enorm profitiert hatten. Zusammen mit einer Öffnung des Marktes hat dies seit den 1990er-Jahren zu einem starken Preisdruck im Agrarsektor geführt.
Damit einher ging eine Rationalisierung der Produktion und eine Ersetzung von permanenten Jobs durch Gelegenheitsjobs. So sank die Zahl der Landarbeiterinnen und Landarbeiter von zwei Millionen in den 1970er-Jahren auf heute 700.000. Mit Jobverlust ging und geht bis heute oft auch eine Vertreibung aus den Häusern der Landarbeiter einher, die sich auf den Farmen befinden.
Wo ansetzen?
Seit Ende der Apartheid wurden mehr als zwei Millionen schwarze Menschen (Landarbeiter/Landarbeiterinnen und ihre Familien) aus ihren Häusern vertrieben. 72 Prozent des Agrarlandes werden von wenigen weißen und nur vier Prozent von schwarz-afrikanischen Farmern besessen. Landesweit sind 40 Prozent der schwarzen Bevölkerung erwerbslos. Südafrika ist bis heute das Land mit der größten Ungleichheit weltweit. Eine umverteilende Landreform, so empfindet es die übergroße Mehrheit der Menschen, steht noch immer aus.
Der Agrarsektor ist ein zentraler Baustein in der Frage, wie die Wirtschaftsstruktur des Landes für die große Mehrheit der schwarzen Bevölkerung geöffnet werden kann – nicht zuletzt, da er nach wie vor stark arbeitsintensiv ist. Auf eine Million investierte Rand kommen in der Landwirtschaft 4,5 Arbeitsplätze (im Vergleich zu 2,94 Arbeitsplätzen im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt), insbesondere durch die aufstrebenden (von schwarzen Bauern geführten) mittleren Agrarbetriebe. Zudem ist der nahrungsmittelverarbeitende Sektor der arbeitsintensivste Industriezweig im Land.
Die extreme Ungleichheit und massenhafte Erwerbslosigkeit unter jungen schwarzen Südafrikanern bergen gegenwärtig einen enormen sozialen Sprengstoff. Nicht die Umverteilung des Bodens, sondern das weitere Hinausschieben der Landreform wäre gefährlich. Ohne Enteignung und Umverteilung durch den Staat geht es nicht.
Dass der ANC nun die Enteignung „ohne Kompensation“ in die Verfassung schreiben will, ist dem Wahlkampf mit Blick auf 2019 geschuldet. Die gegenwärtige Verfassung erlaubt, wie erwähnt, laut Artikel 25 die Enteignung von Land mit dem Zusatz, die Entschädigung müsse „just and equitable“ sein. Da dies niemals näher definiert wurde, hatte der ANC seit 24 Jahren immer die Möglichkeit, weiße Farmer mit geringer Kompensation zu enteignen. Zudem muss die Umverteilung transparent und in langsamen Schritten erfolgen.
Nicht die Umverteilung des Bodens, sondern das weitere Hinausschieben der Landreform wäre gefährlich
Ein genauerer Blick auf die Klassenstrukturen im Agrarsektor zeigt, wo die Regierung ansetzen könnte:
7.000 der 35.000 Großfarmen sind in hohem Maße produktiv und leisten etwa 80 Prozent der Produktion im formellen Markt. Das zu verteilende Land sollte daher zunächst von den rund 28.000 unproduktiveren Betrieben kommen, um die kurzfristige Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln nicht zu gefährden. Land erhalten sollten vor allem die 250.000 produktiven kleinen und mittleren Betriebe, die von marktorientierten schwarzen Bäuerinnen und Bauern bewirtschaftet werden und bereits heut unter schwierigen Bedingungen erhebliche Überschüsse erwirtschaften. Ihnen würde eine Akkumulation von unten ermöglicht, was zu Produktionssteigerungen sowie der Schaffung von Einkommen und Arbeitsplätzen in größeren Breite führen würde.
Entscheidend wäre, dass die Landreform in eine aktive staatliche Agrarpolitik eingebettet wird. Zentral dabei: °der Zugang zu Beratung, °fairen Krediten und angepassten Bewässerungstechnologien. Eine echte, schrittweise Landreform wäre machbar – vorausgesetzt, der Staat setzt nicht einseitig auf den Markt, sondern ist zu Eingriffen bereit.
*Benjamin Luig arbeitet für die Rosa-Luxemburg-Stiftung zu Fragen der Agrar- und Ernährungspolitik. Er lebt in Johannesburg. Der Beitrag erschien zuerst in ak – analyse & kritik, Nr. 637. [Quelle: afrika süd 3|2018]
siehe auch >>Khumalo-Seegelken: Landreform [Thesenübersicht 2009]
>> Land ownership, land reform and perspectives
for a sustainable development in South Africa [2009]
>> Expropriation of Land [Meinungsaustausch 2009]
>> Interview: PLAAS’s Professor Ruth Hall on land, and what you should – and shouldn’t – worry about [29.03.2018]
Danke für diesen Beitrag, der Vernunft und politische Klarheit bringt in dieses extrem emotional aufgeheizte südafrikanische Thema.
Öl in dieses gefährliche Feuer der Emotionen gießt unentwegt u.a. AfriForum, eine Organisation die die Täter-Opfer-Historie der Kolonial- und Apartheidsjahrhunderte umkehren will. Die Täter von einst werden zu Opfern geredet. Das Ergebnis ist ein Geschichtsrevisionismus, der Kolonialismus und Apartheid nicht nur verharmlost, sondern gar als “Fortschritt” für die Kolonisierten darstellt. Ein Denken, das zum Teil auch in liberale Kreise Eingang findet, wie die unseligen Kolonialismus-war-nicht-nur-schlecht-Tweets der Premierministerin von Western Cape, Helen Zille, zeigen. Dieser Geschichtsrevisionismus füttert auch das Narrativ vom “weißen Genozid” in Südafrika.
Es ist daher wenig verwunderlich, dass Emissäre von AfriForum kürzlich in den USA viel Zuspruch in rechts-konservativen bzw. alt-right Kreisen fanden und sogar ins Ohr und die Gehirngänge des Präsidenten Trump gelangten mit ihren verdrehten Theorien.
Verheerend !
Disastrous!
Was/what, anonymous?
Der Kommentator “Anonymus” ist mir namentlich bekannt.
Ben.
Ja doch, ich meinte was ist disastrous/verheerend? :)
Thanks for the post Ben – a lively debate was clearly had.
Let us just hope that when land is suitably re-allocated that it is followed up by financial and professional support. Otherwise, new owners will simply rent it back to the white professional farmers.
Stay well,
Kevin.