Margot Käßmann_PREDIGT: 1. Korinther 13_Vierzig Jahre HuK-Hannover

Margot Käßmann
PREDIGT:_1. Korintherbrief 13
im Gottesdienst zur Feier  Vierzig Jahre Ökumenische Gemeinschaft Homosexuelle und Kirche
Hannover Laatzen
22. April 2018  15 Uhr

 

Liebe Gemeinde,

Ach ja, die Liebe! Den ersten Korintherbrief Kapitel 13 traut man dem Apostel Paulus irgendwie gar nicht zu, oder? Er kommt immer dermaßen streng, ja moralistisch daher. Das Weib soll schweigen in der Gemeinde und dem Herrn sei es ein Gräuel, wenn der Mann bei dem Manne liegt. Aber auf einmal preist genau dieser Apostel die Liebe!

Das „Hohelied der Liebe“, das die HuK für diesen Festgottesdienst ausgesucht hat, ist eine der ganz großen Hymnen der Bibel. Denn wenn etwas für das Christsein steht, dann dass es eine Religion weniger des Gesetzes als der Liebe ist. Gnade, Vergebung, Barmherzigkeit, alle diese christlichen Haltungen entspringen ja der Liebe, die Jesus zum höchsten Gebot für die erhebt, die ihm nachfolgen: Gott über alle Dinge lieben und den Nächsten wie dich selbst.

Ich weiß nicht, ob es homosexuell liebenden Männern geht wie ordinierten Frauen. Manchmal bin ich es leid, diese Bibeltexte wieder und wieder zu traktieren. Wenn mir jemand schreibt, dass Paulus doch nun mal geschrieben habe, dass das Weib schweigen solle in der Gemeinde und dass das somit Gottes Wille sei, dann seufze ich innerlich und denke:

Muss ich das nun zum 100. Mal beantworten!?

So geht es in Sachen Homosexualität auch. Im dritten Buch Mose, Levitikus, der Thora also, wird Analverkehr zwischen Männern verurteilt und mit der Todesstrafe belegt. Das führte zur Ablehnung von Homosexualität im Judentum. Übrigens ist weibliche Homosexualität davon nicht betroffen, sie kommt nicht vor in der Tora und blieb deshalb im Judentum erlaubt. Allerdings hat mir der Rabbiner Homolka einmal auf einer Zugfahrt eine ganz andere Antwort gegeben. Homosexualität werde im Judentum nicht verurteilt, aber sehr wohl Zölibat. Sexualität werde als Gabe Gottes angesehen, auf sie zu verzichten sei eher Sünde, als sie zu variieren…

Und da sind die drei neutestamentlichen Stellen, die von denen, die gegen die Anerkennung homosexueller Liebe kämpfen, so gern benannt werden: Alle vom Apostel Paulus! Sie erklären Sexualität als Kennzeichen gottloser Menschen – allerdings als eines unter vielen (1 Kor 6,9; Röm 1,26f; 1 Tim 1,10). Aber sie haben doch nun mal schlicht und ergreifend nichts mit unserer Diskussion heute zu tun. Homosexuelle Liebe wird hier als Zeichen von fremden Kulten, von Vergewaltigung und Prostitution verurteilt. Dass zwei Männer oder zwei Frauen sich lieben, ein Paar werden, heiraten, in Verantwortung, Verlässlichkeit und Vertrauen zusammen leben, das war vor zweitausend Jahren schlicht unvorstellbar und für den Apostel Paulus völlig undenkbar.
Es ist immer wieder erstaunlich für mich, wie da Bibelverse aus dem Zusammenhang gerissen werden.

Klassisch ist ja der Brief an die US-Moderatorin Laura Schlesinger, die in ihrer Fernsehsendung in den USA mit jenen Paulus-Bibelstellen erklärt hatte, Homosexualität sei Gott ein Gräuel. Der Briefschreiber dankt ihr dafür und schreibt:

„Ich benötige allerdings ein paar Ratschläge von Ihnen im Hinblick auf einige der speziellen Gesetze und wie sie zu befolgen sind.

Ich würde gerne meine Tochter in die Sklaverei verkaufen, wie es in Exodus 21:7 erlaubt wird. Was wäre Ihrer Meinung nach heutzutage ein angemessener Preis für sie?

Ich weiß, dass ich mit keiner Frau in Kontakt treten darf, wenn sie sich im Zustand ihrer menstrualen Unreinheit befindet (Lev. 15:19-24). Das Problem ist, wie kann ich das wissen? Ich hab versucht zu fragen, aber die meisten Frauen reagieren darauf pikiert.

Lev. 25:44 stellt fest, dass ich Sklaven besitzen darf, sowohl männliche als auch weibliche, wenn ich sie von benachbarten Nationen erwerbe. Einer meiner Freunde meint, das würde auf Mexikaner zutreffen, aber nicht auf Kanadier. Können sie das klären? Warum darf ich keine Kanadier besitzen?

Ich habe einen Nachbarn, der stets am Samstag arbeitet. Exodus 35:2 stellt deutlich fest, dass er getötet werden muß. Allerdings: Bin ich moralisch verpflichtet ihn eigenhändig zu töten?“

So geht das immer weiter, wahrscheinlich kennen Sie den Brief. Er ist ein wunderbares Beispiel dafür, was geschieht, wenn Bibelverse aus dem Zusammenhang gerissen werden. Das wird vor allem gern von Menschen getan, die die Bibel gesetzlich lesen wollen. Dann wird Gott zum strafenden Donnergott, der moralistisch über Menschen wacht und vor allem die Sexualität zum Maßstab guten Verhaltens macht. Die Sünde des Rassismus, die Sünde der Ungerechtigkeit und der Ausbeutung, die Sünde der Gewalt und des Krieges, sie werden dem gegenüber viel weniger angeprangert. Warum ist das wohl so? Warum wird Sexualität als so viel gefährlicher oder eben auch sündiger angesehen? Ist sie gefährlicher für die Macht?

Ich denke, die Liebe ist tatsächlich die stärkste Waffe des Christentums. Nicht, dass die Kirche als Institution das immer praktiziert hätte. Oh, da war viel Lieblosigkeit. Ich erinnere mich gut an die Zeit 1999 als ich Landesbischöfin in Hannover wurde. Kein Interview, in dem nicht geradezu inquisitorisch gefragt wurde: Wie hältst du ´s mit der Homosexualität? Das war eine Art status confessions, eine Bekenntnisfrage, geradezu so als ob die Rechtmäßigkeit des eigenen Glaubens an dieser Frage hinge.

Ich habe damals Klaus Brinker kennen gelernt. Was für eine Biografie. Die Berufsmöglichkeiten gebrochen durch die kirchliche Autorität, aber kein gebrochener Mensch, so habe ich ihn erlebt. Und so haben wir ihn auch zu Grabe getragen. In der Traueransprache habe ich als Landesbischöfin betont, wie dankbar ich war, dass Klaus Brinker in der Kirche geblieben war. Das Pfarramt wurde ihm verwehrt, aber all dem zum Trotz hat er als Synodaler viel dazu beigetragen, dass unsere Landeskirche sich verändert hat. Und ich bleibe bei dem, was ich damals, 2003 gesagt habe:

“Wo meine Kirche an Klaus Brinker schuldig geworden ist,
ihn verletzt hat,
tut mir das selbst weh.”

Landesbischof Meister hat das vor der Synode im vergangenen November eindrucksvoll – und unter dem Beifall der Synodalen! – um Verzeihung dafür gebeten, was unsere Landeskirche Homosexuellen an Kränkungen und Diskriminierungen zugefügt habe. Das zeigt einen enormen Wandel in unserer Kirche wie in unserer Gesellschaft. Das zeigt einen enormen Wandel in unserer Kirche wie in unserer Gesellschaft. Noch in meiner Jugend wurden Jungen gehänselt mit: „Du bist wohl ein 175er!“ Angespielt wurde auf den Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches, der „sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts“ unter Strafe stellte. In der Bundesrepublik kam es 1969 und 1973 zu Lockerungen, aber erst 1994 wurde der Paragraph ersatzlos gestrichen, in der DDR war das bereits 1988 erfolgt. Erst 2017 wurde ein Gesetz verabschiedet, das Menschen, die wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen nach 1945 verurteilt worden waren, rehabilitierte und eine Entschädigung für diejenigen in Aussicht stellte, die zu Gefängnisstrafen verurteilt worden waren. Ein langer, steiniger Weg, auf dem Homosexuellen staatlicherseits und kirchlicherseits viel Unrecht angetan wurde.

Manchmal frage ich mich, ob Frauen schlicht weniger Angst vor homosexuellen Männern haben als heterosexuelle Männer? Als ich junge Pfarrerin auf dem Dorf war, sagte jemand: Ist es ihnen nicht unangenehm, neben einem Homosexuellen zu wohnen? Ich habe gesagt: Was kann dir als Mutter von vier Töchtern eigentlich Besseres passieren! Sexuelle Gewalt, Übergriffigkeit und Diskriminierung erfahren Frauen von heterosexuellen Männern, nicht von homosexuellen. Und, anderes Thema, die homosexuellen Frauen? Die haben meines Wissens viel seltener jemanden gestört. Eine Kollegin sagte: Als ich mit meiner Partnerin ins Pfarrhaus zog, hieß es: Ist doch schön, dass die Frau Pfarrer nicht so ganz allein ist in dem großen Haus. Ach ja, in England galt das Gesetz gegen Homosexualität nur für Männer, weil Queen Viktoria angeblich gesagt hat, Frauen würden „solche Schweinereien“ garantiert nicht machen.

Hans-Jürgen Meyer hat in seinem Buch Lieben-Leiden-Lachen eindrücklich geschildert, wie er für sich selbst niedergeschrieben hat, welche Gründe ihn dazu geführt haben, sich gegenüber der Landeskirche als schwuler Pastor zu offenbaren: Er wollte identisch leben. Er wollte sich mit seinem schwulen Kollegen Klaus Brinker solidarisieren. Und er wollte den begonnenen Veränderungsprozess der Landeskirche voran bringen. Er schreibt:

„Ich wollte meine Kirche liebevoll davon überzeugen, dass es an der Zeit ist, dass sie ihre jahrtausendelang währende negative Einstellung zur Homosexualität überdenkt und wenn es gut läuft, mit einem Schuldbekenntnis revidiert.“

Ja, lieber Hans-Jürgen Meyer, das ist gelungen. Auch für Sie war das ein steiniger Weg. Ich erinnere mich daran, wie es erst zu einer halben Stelle kam, dann zu einer ganzen und schließlich das „i.R.“ gestrichen wurde, sie nicht mehr Pastor in Ruhe waren – obwohl das ja nun wirklich nie zugetroffen hat. Danke auch Ihnen für den langen Atem, für das Wegstecken so mancher Verletzung und die liebevolle Überzeugungsarbeit. Heute können wir über manche Episode lächeln. Aber zum Lachen war es wahrhaftig oft nicht.

Und die Liebe hat eine politische Dimension. Ja, weil das Private nun mal politisch ist. Aber auch rüber hinaus! Die Bibel lässt sich nicht in eine private Nische pressen oder zur Beruhigung der Gemüter benutzen, sie ist eben nicht Opium des Volkes, zu dem manche sie gern machen würden. Sie hat mit dem Leben der Menschen zu tun, damals wie heute. Das ist manchmal sehr persönlich, aber oft auch politisch, weil es in der Politik eben auch um Menschen und ihr Leben geht. Die Bibel thematisiert die Fragen des Zusammenlebens, der Gerechtigkeit, des Friedens, den Umgang mit Gottes Schöpfung. Wenn gerade Politiker fordern, die Kirche solle sich um „das Eigentliche“ kümmern, dann ist das eben genau das: Das Leben der Menschen. Und da ist die Liebe dann ein sehr entscheidendes Kriterium für eine Lebenshaltung.

Martin Luther King Jr., an dessen 50. Todestag, des Tages seiner Ermordung wir in diesem Monat gedenken, hat einmal erklärt, dass es bei der Feindesliebe nicht um Eros geht, um romantische Liebe, nicht um Philia, um Liebe auf Gegenseitigkeit. Nein, es geht um Agape. Er schreibt:

„Sie ist eine überströmende Liebe, die völlig freiwillig, unmotiviert, grundlos und schöpferisch ist. Sie wird nicht durch irgendeine gute Eigenschaft oder Leistung ihres Objekts ausgelöst. Sie ist die Liebe Gottes, die im Herzen des Menschen wirkt. Agape ist eine uneigennützige Liebe, in der der Mensch nicht sein Bestes sucht, sondern „was des andern ist“ (1 Kor. 10,24). … Wer einen Menschen nur seiner Freundlichkeit wegen liebt, liebt ihn mehr um des Vorteils willen, den er aus der Freundschaft zieht, als um seinetwillen. Wenn wir also sicher sein wollen, daß unsere Liebe uneigennützig ist, müssen wir den Nächsten lieben, der unser Feind ist und von dem wir nichts Gutes, sondern nur Feindseligkeit und Verfolgung erwarten können.“

Das sind in der Tat große Worte. Martin Luther King aber wusste, wovon er sprach. Er hat die Diskriminierung aufgrund seiner Hautfarbe persönlich erlebt. Aber er wollte sich mit den Rassisten nicht auf eine Stufe stellen. Das Liebesgebot Jesu machte ihn zu einem Menschen, der konsequent für Gewaltfreiheit eintrat.

Eines ist mir wichtig: Die Liebe gilt auch gegenüber den Andersdenkenden. Oha, das fällt mächtig schwer, mir auch! (Beispiel: Journalist!) Aber gerade das entwaffnet ja die anderen. Ich teile deine Meinung überhaupt nicht. Aber anders als ein pöbelnder Pegidaanhänger oder ein Bundestagsabgeordneter, der sich rühmt, wegen Pöbelei gerügt zu werden, lasse ich mich nicht herab zu deinem Hass, ich twittere ihn auch nicht stupide herum. Michelle Obama hat das grandios ausgedrückt:

„When they go low, we go high“ – frei übersetzt: Wenn die anderen sich nicht benehmen können, antworten wir mit Anstand und Stil.

Liebe Gemeinde, wir können heute feiern. Es hat sich so viel verändert. Ich weiß, es gibt noch Diskriminierung. Aber wie selbstverständlich ist es geworden, dass ein Pfarrer homosexuell ist und mit seinem Mann ins Pfarrhaus einzieht. Kirchenvorstandsmitglieder sind homosexuell, ja selbst Oberlandeskirchenräte leben das offen! Und auch Frauen können sagen, dass sie eine Frau lieben. Wie eine prominente lesbisch liebende und lebende Frau Menschen anderer Herkunft gnadenlos die Menschenwürde abspricht, verstehe ich übrigens nicht. Aber das mag uns allen auch eine Mahnung sein: Homosexuelle und Frauen sind nicht per se bessere Menschen!

Isolde Karle schreibt in ihrem Klassiker zur Sexualität:

„Nicht die Unterscheidung Hetero- oder Homosexualität ist entscheidende, sondern die Frage nach den grundlegenden ethischen Kriterien einer verantwortlich gelebten Sexualität und Partnerschaft. Selbstverständlich kann homosexuelle Praxis zur Sünde pervertieren, aber dies gilt in gleicher Weise für heterosexuelle Liebe.“

Beim Feiern werden wir nicht vergessen, wie weh vieles getan hat. Wie groß die Opfer waren, die manche gebracht haben. Aber dass am Ende die Liebe gesiegt hat in unserer Kirche, dafür bin ich Gott von Herzen dankbar. Und wenn wir unsere Dankbarkeit vor Gott bringen in diesem Gottesdienst, denken wir in der Fürbitte auch daran, wie viele Menschen, die homosexuell lieben noch diskriminiert, verfolgt, ja getötet werden.

Wenige Wochen nach Ostern in der Kirchenzeit auf Pfingsten hin ist das ja auch unsere zentrale Glaubensbotschaft. Die Liebe ist sogar stärker als der Tod. Wir glauben als Christinnen und Christen, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Und damit nicht der Hass, die Gewalt, die. Ausgrenzung. Manchmal fällt es uns schwer, das zu sehen. Und viele, die für Ihre Liebe ins Gefängnis mussten, ausgegrenzt, ja ermordet wurden, haben wohl auch die Hoffnung auf die Freiheit verloren. Aber am Ende war die Liebe stärker. Ach Paulus, wenn du wüsstest, wie Recht du hattest:

Es bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Und so bewahre der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

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