`Zur tieferen Bedeutung eines alten Rituals´ – schreibt Christian Schlüter*:
BERLIN, 17. März 2017: Nachdem Joachim Gauck am Freitag [17.03.2017] mit einem Großen Zapfenstreich aus seinem Amt verabschiedet worden ist, stellen sich gewiss viele Fragen, allen voran aber die, was eigentlich der Zapfen und was der Streich ist. Offenkundig haben wir es hier mit einer Abendveranstaltung zu tun, einem militärischen Zeremoniell, das auf eine lange Tradition zurückgeht.
Bereits im 16. Jahrhundert, zur Zeit der Landsknechte nicht nur in Deutschland, aber in Deutschland ganz gewiss auch, wurde den vom Schlachtfeld zurückgekehrten, sich in ihrem Nachtlager nun den alkoholischen Genüssen hingebenden Söldnertruppen irgendwann der Zapfen geschlagen: Der Quartiermeister oder die Nachtwache bedeutete der Soldateska mit einem Streich – Schlag – ihres Säbels auf den Zapfhahn des Wein- oder Bierfasses, dass nun Schluss mit lustig ist. Bis zum Weckruf durften die Mannen das Lager nicht mehr verlassen.
Wir können das Wort Zapfenstreich etwas freier als Nachtruhe, Schichtwechsel oder einfach Feierabend übersetzen. Dass Joachim Gack mit diesem zeremoniellen Schlusspunkt als Bundespräsident verabschiedet wurde, scheint auf den ersten Blick als zu passen. Allerdings haben evangelische Friedensverbände schon ihre Enttäuschung darüber geäußert, dass der Pastor, der Gauck schließlich auch einmal gewesen sei, mit einem militärischen Brauch das ja eigentlich zivile Amt verlässt.
Schreitet etwa mit dem Kult die Militarisierung der Gesellschaft stramm fort?
In diesem Zusammenhang erinnerte die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) an den früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann, der 1974 auf den Großen Zapfenstreich verzichtete und seine Verabschiedung stattdessen auf d einer Bootsfahrt feierte.
Das wäre ein positives Signal in einer Zeit gewesen, „in der Säbelrasseln die weltpolitische Debatte bestimmt“, brachte der AGDF-Geschäftsführer Jan Gildemeister seine Bedenken auf den Punkt.
Darüber ließe sich trefflich räsonieren. Und auch daran erinnern, dass insbesondere die Großen Zapfenstreiche wegen ihres öffentlichen Stattfindens seit jeher als Vorboten der Militarisierung unserer Gesellschaft kritisiert wurden: Strammstehende Fackelträger bei scheidend-zackiger Marschmusik – der martialische Auftritt solle die friedensselige, kriegsmüde Bevölkerung an die weltweitern Auslandseinsätze der Bundeswehr gewöhnen und wecke zudem hässliche Erinnerungen an die jüngste deutsche Vergangenheit.
Dergleichen Kritik ist in den letzten Jahren allerdings leiser geworden. In Hinblick auf die jetzt wieder geltend gemachte Friedensmission der Kirchen lässt sich nüchtern konstatieren, dass sie mit ihren seelsorgerischen Dienstleistungen immer schon und sehr engagiert unsere Truppen versorgt haben. Sie setzen dieses Engagement selbstverständlich auch und gerade bei Auslands- und Kriegseinsätzen fort.
Ein Wunschkonzert, das nach vielen Seiten anschlussfähig gehalten ist
Die Gewöhnung an das Ritual ist also fortgeschritten. Dabei fällt allerdings auf, wie sehr das Kriegshandwerk, wenn der Große Zapfenstreich denn dafür stehen soll, sich zunehmend mit popmusikalischen, im weitesten Sinne jugendkulturellen Weiterungen ausschmückt. Wir kennen das übrigens auch von den Werbefilmchen, mit denen die Bundeswehr den Nachwuchs in ihre Reihen locken will. Beim Großen Zapfenstreich, einer geometrisch präzise ausgezirkelten und im flackernden Fackelschein profilscharf, ja grimmig ausgeleuchteten Machtdemonstration – beim großen Zapfenschein wirkt die Popzutat allerdings komisch. Das war schon bei Bundeskanzler Gerhard Schröder der Fall, der sich 2005 unter anderem mit „Summertime“ von George Gershwin und „My way“ von Frank Sinatra, dargebracht von der Militärkapelle, verabschiedete. Oder bei Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der sein Amt 2011 zu den Klängen von Deep Purples „Smoke on the Water“ aufgab. Und Bundespräsident Christian Wulff wünschte sich 2012 „Over the Rainbow“ von Judy Garland.
In der Folge wurde mehr über die musikalischen Vorlieben der verabschiedeten Politiker geredet als über den militärischen Rahmen ihrer Verabschiedung. Auch Joachim Gauck hat dem obligatorischen Marschmusikprogramm eine persönliche Note hinzugefügt: das Lied „Ein‘ feste Burg ist unser Gott“ mit dem bekannten Text von Martin Luther, an dessen Thesenanschlag vor 500 Jahren 2017 erinnert wird; die Weise „Freiheit, die ich meine“, deren Text 1813 im Umfeld der Befreiungskriege gegen Napoleon entstand, aber auch von Juliane Werding 1977 verschlagert wurde, sowie den Song „Über sieben Brücken musst du geht“ von der DDR-Gruppe Karat, im Westen erfolgreich von Peter Maffay dargebracht.
Ein Wunschkonzert, das nach vielen Seiten anschlussfähig, aber theologisch sehr streng gehalten, sehr protestantisch ist: „Für der Väter Gruft / Für die Liebsten fallen / Wenn die Freiheit ruft.“
*Christian Schlüter, Frankfurter Rundschau, 18./19.03.2017, Seite 33.
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