Historiker für Inklusion statt Assimilation. Daniel Haufler* schreibt:
Ein zentraler Begriff in der Debatte um die Flüchtlinge in Deutschland ist „Integration“. Jüngst wird gar eine Integrationspflicht gefordert. Der Historiker Philipp Ther nähert sich in der „Süddeutschen Zeitung“ der Debatte mit einem Rückgriff auf den französischen Soziologen Émile Durkheim, der Integration als Prozess beschrieben hat, also nicht als eine einseitige Anpassung einer Minderheit an eine Mehrheit wie bei einer Assimilation. Durkheim, so Ther, „interessierte sich vor gut hundert Jahren dafür, was eine Gesellschaft zusammenhält, wenn ihre traditionellen Bindungen verloren gehen (…). Durkheim vertrat das Ideal einer integrierten Gesellschaft, Desintegration war der negativ besetzte Gegenbegriff dazu. Insofern beruht der heutige normative Konsens über die Integration als Endziel der Flüchtlingspolitik auf einem sehr alten Begriffsverständnis“.
Die Soziologen Talcott Parsons und Niklas Luhmann ergänzten den Gedanken, indem sie Integration als Inklusion gesellschaftlicher Teilbereiche und Teilhabe an einem wirtschaftlichen und sozialen System verstanden. Werden die Flüchtlinge, fragt Ther, „in den Arbeitsmarkt, den Alltag der Mehrheitsgesellschaft und das politische System inkludiert“? Er schenkt sich die negative Antwort und geht auf die vier Dimensionen ein, die den Verlauf eines Integrationsprozesses bestimmen:
die „rechtliche Gleichstellung (in Form grundlegender sozialer Rechte und/oder der Staatsbürgerschaft), die Ausstattung mit Wohnraum und das alltägliche Lebensumfeld, die berufliche Integration sowie schließlich, als höchste Stufe der Integration (sofern man diese in Stufen betrachten will, denn oft verläuft sie nicht als linearer Prozess) das Heiratsverhalten bzw. die Vermischung mit der Mehrheitsgesellschaft“.
Solange die meisten Flüchtlinge in Lagern sitzen, kann daher keine Integration stattfinden. „Das Lager ist der Antipode der Inklusion, es ist ein Symbol der Exklusion“, schreibt Ther. Sämtliche historischen Beispiele erfolgreicher Integration beruhten auf Partizipation. Etwa die Hugenotten im späten 17. Jahrhundert: „Brandenburg-Preußen ließ es außerdem zu, dass die Hugenotten in der Regierung und am Hof repräsentiert wurden und dort eine eigene Verwaltungseinheit mit Sonderrechten bildeten.“ Ähnlich ist es bei Flüchtlingen und Vertriebenen der Nachkriegszeit. Damals wie heute sei ratsam, „Integration als Angebot zu betrachten und den Begriff nicht mit Pflichten, Zwängen und Sanktionsdrohungen zu überfrachten (…)“. Wenn Integration zu einer Chiffre für eine Zwangsassimilation verkomme, stoße sie bei den Betroffenen eher auf Skepsis. „Außerdem sind Drohungen letztlich nur Ausdruck der eigenen Unsicherheit, die auch die bereits ansässige Bevölkerung verängstigt und spaltet.“
*Daniel Haufler, Frankfurter Rundschau, MEINUNG, 20.04.2016, 10.
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