In der weltweiten Kirchengemeinschaft geben die erzkonservativen Gruppierungen den Ton an
von Sebastian Borger*
CANTERBURY 16.01.2016 Die weltweite anglikanische Gemeinschaft hat der Ehe von Schwulen oder von Lesben, der „schwul-lesbischen Ehe“, eine Absage erteilt. Auf einem Treffen im englischen Canterbury bezichtigte eine Mehrheit der 38 Erzbischöfe die US-Episkopalkirche des Abweichlertums und schloss die nordamerikanischen Mitchristen für drei Jahre von allen Gremien aus. Damit haben die sozial konservativen, theologisch schlicht denkenden Kirchen des globalen Südens einen Sieg über die etwa aufgeschlossenen Anglikaner in den westlichen Industrienationen davongetragen.
Die englische Staatskirche bietet Raum für verschiedene Glaubensrichtungen
Die Anglikaner gehen auf Heinrich VIII (1a509-1547) zurück, der sich 1534 von Rom lossagte. Spätestens seit der Enthauptung des allzu katholisch daherkommenden Königs Charles I, der kurzzeitigen Republik und der Rückkehr zur Monarchie 1660 stellt die englische Staatskirche einen Kompromiss dar zwischen Anglo-Katholiken und Anglo-Protestanten, strenggläubigen Puritanern wie liberalen Reformatoren. Nicht umsonst ist in der englischen Sprache von einer „breiten Kirche“ (broad church) die Rede, wenn Gruppierungen die Vertreter vermeintlich unvereinbarer Positionen enthalten. Mit dem Kolonialreich verbreitete sich diese Spielart des Christentums auf der ganzen Welt.
Doch in jüngster Zeit dominierten die Gegensätze, und sie entzünden sich wie bei Katholiken und Protestanten gern an der menschlichen Sexualität. Der Leiter der englischen Mutterkirche, Justin Welby, hatte die Amtsbrüder, Oberhirten von 85 Millionen Gläubigen in 160 Ländern weltweit, für fünf Tage an seinem Erzbischofssitz in Canterbury (Grafschaft Kent) versammelt, um über strittige Fragen zu sprechen. Wie erwartet stand die Homosexualität im Vordergrund, obwohl auch globale Themen wie der Klimawandel und religiös motivierte Gewalt diskutiert wurden.
Die Behandlung von Schwulen und Lesben in der Kirche war schon. Ende vergangenen Jahrhunderts Dauerthema nicht nur bei den Anglikanern. 2003 wählten die US-Anglikaner, die sogenannte Episkopalkirche, den in schwuler Partnerschaft lebenden Gene Robinson zum Bischof der winzigen Diözese New Hampshire. Der mittlerweile im Ruhestand lebende Theologe, sieht Homosexualität nicht als Sünde an: „Die Bibel macht keine Aussage über monogame Beziehungen zwischen zwei Menschen des gleichen Geschlechts. Sie wurde für eine andere Zeit geschrieben“, sagt der 68-Jährige.
Robinsons Segnung durch die US-Bischofskonferenz rief eine wütende Reaktion jener hervor, die, wie sie beteuern, ihre Bibel `sehr viel wörtlicher´ nehmen. Sie halten Frauen im Talar für unbiblisch, Homosexuelle sind ihnen mit den Worten aus dem zweiten Buch Mose „ein Gräuel“. In Amerika selbst formierte sich die abtrünnige Vereinigung ACNA konservativer Anglikaner mit rund 120 000 Mitgliedern, weltweit verständigten sich Bibel-Fundis auf die Gründung des Konkurrenzclubs Gafcon. Darin führen vor allem Afrikaner und Australier das große Wort, auch ACNA ist Mitglied. Die Gruppierung will stärker unter Nicht-Christen missionieren, lehnt Frauen in kirchlichen Führungspositionen ab und sieht Homosexualität als Sünde.
Ein Treffen aller 38 Erzbischöfe hat es seit Jahren nicht mehr gegeben
Immerhin konnte Welby schon als Erfolg verbuchen, dass alle 38 Erzbischöfe überhaupt an einem Ort zusammenkamen. Das hatte es zuvor jahrelang nicht mehr gegeben, nicht zuletzt deshalb, weil die Episkopalkirche acht Jahre lang von einer Erzbischöfin geführt wurde. Der 60-jährige Welby selbst gehört der evangelikalen Strömung an, fördert Frauen im Bischofsamt, hält aber an der `traditionellen´ Lehre fest, was die schwul-lesbische Ehe angeht. Gegen die Disziplinierung der US-Anglikaner erhob sich am Freitag [15.01.2016] heftiger Widerspruch von liberalen Priestern in England. Er „schäme sich, Anglikaner zu sein“, teilte der prominente Londoner Theologe Giles Fraser mit.
Die Kirchenspitze hingegen hält die jetzt gefundene Lösung für tragfähig. „Wir wollen zusammenbleiben und einander zuhören“, hofft Welby.
*Sebastian Borger, Anglikaner verurteilen Homosexualität, FrankfurterRundschau, 16./17.01.2016, 7
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