Die meisten Israelis und Palästinenser glauben nicht, dass Frieden eine realistische Option sei. Das bedeutet nichts Gutes.
Benjamin Netanjahu möchte wohl den Rekord von David Ben-Gurion brechen. Israels legendärer Staatsgründer diente insgesamt 14 Jahre als Premierminister. „Bibi“, wie die Israelis Netanjahu meist nennen, bringt es in bislang vier Amtszeiten auf zehn Jahre. Doch lässt er keinen Zweifel an seinem Vorhaben, noch lange Regierungschef in Jerusalem zu bleiben. Offiziell endet die Legislaturperiode erst 2019.Aber auch dann soll der Spitzenkandidat des rechtskonservativen Likud Netanjahu heißen, wenn es nach ihm ginge.
Jedenfalls brachte der Premier die Parteigremien dazu, die Basis in dieser Frage im Februar an die Urnen zu rufen. Nur mochten viele Likud-Mitglieder nicht einsehen, warum das nötig sein solle. Erstens gibt es derzeit keinen Herausforderer, und zweitens sollten um Netanjahu nicht zu düpieren, keine Gegenstimmen erlaubt sein. Putin lässt grüßen. Das kafkaeske Verfahren weckte überdies die israelische Spottlust. Das Parteigericht sagte die Farce kurzerhand ab. Jetzt soll „Bibi“ auf dem Parteitag per Akklamation als Nummre Eins im Likud bestätigt werden.
Besser, man hätte sich den absurden Vorgang von vorneherein gespart. Dennoch ist er ein Lehrstück, das zeigt, worum es Netanjahu vornehmlich geht: um den Erhalt seiner Macht. Aber wofür will er die eigentlich nutzen? In all den Jahren, in denen Netanjahu regiert, kam politisch fast nichts voran, schon gar nicht im Verhältnis zu den Palästinensern, das sich inzwischen durch abgrundtiefes Misstrauen auszeichnet.
Innerisraelische Reformen wiederum – etwa im Sinne der Wehrgerechtigkeit auch ultraorthodoxe Juden einzuziehen – bleiben aus Rücksicht auf religiöse Koalitionspartner auf der Strecke. Außenpolitisch hat sich Netanjahu beim Kräftemessen mit US-Präsident Barack Obama im Iran-Konflikt sogar völlig verhoben. Das Atomabkommen mit Teheran wurde trotz israelischer Einsprüche unterzeichnet, die internationalen Sanktionen werden in den nächsten Tagen zurückgefahren.
Dennoch steht Netanjahu daheim unangefochten da. Im linken Friedenslager ist niemand in Sicht, der es mit seinen rhetorischen Fähigkeiten aufnehmen könnte. Im Likud hält Netanjahu bislang potenzielle Konkurrenten erfolgreich auf Abstand. Den meisten Israelis (nach Angaben der Zeitung „Haaretz“ 55 Prozent) fällt auch keiner ein, der „Bibi“ im Premierbüro ersetzen könnte.
Bei vielen kommt indes gut an, wie Netanjahu strotzend vor Selbstbewusstsein auskeilt. Die Kritik der schwedischen Außenministerin am israelischen Umgang mit palästinensischen Messerattacken kanzelte er vor versammelten Auslandskorrespondenten als „empörend, unmoralisch und dumm“ ab. Margot Wallstrom hatte sich in Stockholm für eine Untersuchung ausgesprochen, ob Israel in einigen palästinensischen Todesfällen womöglich „außergerichtliche Tötungen“ begangen habe.
Die Besorgnis, manche Palästinenser seien ohne Bestehen einer Notwehrsituation erschossen worden, hatten zuvor israelische Menschenrechtsorganisationen geäußert. Doch sie geraten selber immer mehr unter Generalverdacht der Regierung. Am sogenannten NGO-Transparenz-Gesetz aus dem Hause der ultrarechten Justizministerin Ajelet Schaked findet auch Netanjahu nichts auszusetzen.
Transparenz, doziert er, sei doch das „Herz der Demokratie“. Sollte das Gesetz in jetziger Fassung verabschiedet werden, müssen Mitglieder linker Organisationen wie Btselem oder Breaking the Silence, die in den besetzten Gebieten arbeiten, sich spätestens beim Betreten der Knesset Schilder anheften, wenn die Hälfte ihrer Spenden aus ausländischen Regierungstöpfen stammt. Transparent ist daran vor allem die politische Absicht. Denn die in Israel zahlreich vertretenen rechten NGOs müssen nichts offenlegen, weil sie ihr Geld von privaten Unterstützern aus dem Ausland erhalten.
Der rechts-national-religiösen Koalition geht es darum, ihre Meinungsherrschaft überall, auch in der politischen Kultur, zu verankern. Der aggressive Tön gegenüber Andersdenken, einschließlich der arabischen Minderheit in Israel – mithin all jenen, die nicht zum rechten Konsens gehören – nimmt zu. Nur ein weiteres Symptom ist die Entscheidung des Erziehungsministeriums, den Roman “Boderlife“ von Dorit Rabinyan von der Literaturliste für Schulen zu streichen. Die israelisch-palästinensische Liebesgeschichte könnte ja Schüler auf Abwege bringen und einer Assimilation Vorschub leisten.
Nein, nicht nur die rechte Siedler-Lobby, auch Netanjahu zieht es vor, die bestehenden Verhältnisse zu zementieren. Ihr Mantra ist altbekannt: Mit Terroristen ist nicht zu reden. Oder: Für Frieden gibt es keinen palästinensischen Partner. Interessanterweise widerspricht dem ausgerechnet der israelische Sicherheitsapparat, der gerade jetzt vertrauensbildende Gesten im Westjordanland empfiehlt. Zumal sich die Sicherheitskooperation mit Ramallah verbessert und die Hetze in den PLO nahestehenden Medien reduziert habe.
Offenbar fürchtet die moderate Palästinenserführung von Mahmud Abbas, deren Kollaps bereits in Israeli prognostiziert wurde, die Hamas werde sonst unter Ausnutzung der akuten Gewaltwelle die Macht an sich reißen. Lieber klopft man kernige Sprüche wie Netanjahu, wonach Israel auf Dauer „mit dem Schwert leben“ müsse. Bislang ist er damit über die Runden gekommen. Nicht zuletzt, weil die meisten Israelis und Palästinenser eh nicht mehr glauben, dass Frieden eine realistische Option sei. Aber so wie es ist, bleibt es nicht. Angesichts der gewaltigen Umbrüche in Nahost bedeutet dies nichts Gutes.
*Inge Günther, ANALYSE, FrankfurterRundschau, 16./17.01.2016, 10
Kommentieren