Gutes Fleisch ist begehrt, aber an der Kasse zählt oft nur der Preis. Wir müssen die Tierhaltung schrittweise verändern, fordert Christian Schmidt, der für Ernährung und Landwirtschaft zuständige Bundesminister in einem Gastbeitrag in einer überregionalen Tageszeitung.
„Eindeutig ist die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit gegenüber der Landwirtschaft in Deutschland. Bäuerinnen und Bauern sollen hochwertige, vielfältige und sichere Lebensmittel erzeugen. Gutes Essen ist unverzichtbarer Bestandteil unserer hohen Lebensqualität. Sie sollen günstige Preise gewährleisten, so dass im Alltag nahezu jedes Produkt verfügbar und bezahlbar ist. Dabei sollen sie Umwelt und Natur bewahren. Zugleich soll eine bäuerliche Landwirtshaft die Nutztiere tiergerecht mit einem hohen Maß an menschlicher Fürsorge halten. Für sich genommen haben all diese Ziele ihre absolute Berechtigung. Als Ganzes besehen, stehen sie in Konkurrenz zueinander. Ich plädiere deshalb für eine ehrliche Debatte.
„In diesen Tagen ist das Grillpaket mit einem Kilogramm Fleisch für vier Euro zu haben. Als wertvollstes Stück es Schweins kostet das Filet pro Kilogramm zehn Euro. Es ist ein Angebot, das wir als Verbraucher täglich annehmen. Ältere Generationen kennen Fleisch noch als Luxusgut, das eher Festessen vorbehalten war. Davon sind wir heute weit entfernt: Jeder kann sich Fleisch leisten – ich verstehe dies als Errungenschaft, wenn der Verzehr im Hinblick auf unsere Gesundheit maßvoll geschieht.
„Auf der anderen Seite gibt es Fleischerzeugnisse, bei deren Produktion höhere Tierschutzstandards eingehalten wurden. Sie sind aufgrund der dadurch entstehenden Kosten deutlich teurerer. In Umfragen nennen Verbraucherinnen und Verbraucher das Tierwohl als wichtigstes Entscheidungskriterium, aber die tatsächliche Entscheidung an der Kasse sieht oft anders aus: Einschlägige Produkte führen bislang nur ein Nischendasein. Das Potenzial für mehr Nachhaltigkeit als Qualitätsmerkmal ist jedoch vorhanden. Erzeuger, Handel und Verbraucher sollten es nutzen.
„Die Tierhaltung in Deutschland ist für unsere Bauernfamilien das wirtschaftliche Standbein Nummer eins. 27 Milliarden Euro Produktionswert im Jahr – jeder zweite Euro wird hier verdient. Landwirte sind mehr denn je Unternehmer, ihre Ausrichtung auf den Markt hat kontinuierlich zugenommen. Am Ende muss die betriebswirtschaftliche Rechnung in einem harten Wettbewerb mit in der Regel geringen Margen aufgehen. Ökonomisch sinnvoll kann dies außerhalb des Premiumsegments meist nur mit größeren Tierbeständen gelingen. Größere Ställe aber sind nicht gleichbedeutend mit schlechteren Haltungsbedingungen. Auch für die Tierhaltung gilt: Früher war nicht alles besser – von technologischem Fortschritt können die Tiere profitieren. Dunkle und feuchte Ställe, etwa mit angebundenen Tieren, gehören heute einer Vergangenheit an, zu der wir nicht zurück wollen.
„Tatsächlich können aber vor allem kleinere Betriebe nicht jede Veränderungsgeschwindigkeit mitgehen. Manche berechtigte und gut gemeinte Vorschrift wird so zum Katalysator für den Strukturwandel zulasten einer bäuerlichen Landwirtschaft. Die Tierbestände wachsen. Hier sind Augenmaß und Weitblick gefragt.
„Begleitet von Politik und Agrarforschung, hat die Landwirtschaft über die Jahrzehnte Schritt für Schritt hin zu mehr Tierwohl gemacht. Der Berufsstand öffnet sich gegenüber neuen Ansprüchen seiner Kunden. Rinder haben Bewegungsfreiheit in Laufställen. Sauen werden vor der Geburt ihrer Ferkel in der Gruppe gehalten. Legehennen leben nicht mehr in Batterie-Käfigen. Wir arbeiten an Haltungsbedingungen, die das Kupieren von Schwänzen bei Schweinen und das Kürzen der Schnäbel bei Hühnern nicht als Regel erfordern. Auch die Tötung von männlichen Eintagsküken wollen wir künftig [verbieten lassen].
„Zugleich mahnen uns Erfahrungen aus nationalen Alleingängen. Als wir in Deutschland die Haltungsbedingungen für Legehennen bereits zwei Jahre vor der EU verbessert haben, ist der Selbstversorgungsgrad mit Eiern aus heimischer Produktion kurzfristig von 70 Prozent auf 55 Prozent eingebrochen. Milliarden Eier kamen aus ausländischer Käfighaltung. Der Rückgriff auf eine auswärtige Produktion mit niedrigeren Standards hilft weder der heimischen Branche noch den Verbrauchern und erst recht nicht den Tieren. Auch wenn es mühsam ist: Wir brauchen deshalb auf dem Binnenmarkt der EU ein gemeinsames Tempo der Veränderung.
„Immer wieder werden uns Bilder vor Augen geführt, die unerträgliches Leid in der Tierhaltung zeigen. Werden Ferkel grundlos getötet, ist das ein klarer Verstoß gegen das Tierschutzgesetz. Hier werden in einem harten Wettbewerb Grenzen deutlich überschritten. Verstöße gegen Gesetze zum Tierschutz dürfen nicht toleriert werden. Es darf keine Defizite bei Kontrolle und Verfolgung von Verstößen gegen Tierschutzrechte geben. Ein verrohter Umgang mit den Tieren ist der Feind sittlichen Anstands. Der Respekt vor Dem Leben hat einen hohen Stellenwert verdient.
„Wir müssen hier gemeinsam Verantwortung übernehmen – der Staat durch Rahmenbedingungen, die das Wohlbefinden von Tieren fördern, die Landwirte, die es in die Tat umsetzen, und wir als Verbraucher, die an der Ladentheke über die Haltungsbedingungen mitentscheiden. Denn wir müssen dazu bereit sein, für das Wohl der Tiere den Preis zu bezahlen, von dem die Erzeuger leben können. Unsere Lebensmittel sollen nicht billig sein, sie müssen ihren Preis wert sein.
„Damit zwischen den Erwartungen und Realitäten der Tierhaltung in Deutschland zukünftig keine Lücken klaffen, brauchen wir das Bekenntnis zu mehr Fairness und praxisgerechte Vorschläge. Verantwortliches Handeln ist der Kern einer Ethik, der wir verpflichtet sind. Dafür werde ich mich mit ganzer Kraft einsetzen: Ein New Deal zum Wohl der Tiere wird Schwerpunkt meiner Amtszeit sein.“
Quelle: Frankfurter Rundschau, 11.08.2014, 10.
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