IM WORTLAUT – Daniela Kolbe, MdB: Mein „Nein“ zum ‚Geordnete-Rückkehr-Gesetz‘

Berlin, 12. Juni 2019.

Sehr geehrte Damen und Herren,

haben Sie vielen Dank für Ihre E-Mail zum sogenannten Geordnete-Rückkehr-Gesetz, das der Deutsche Bundestag vergangenen Freitag verabschiedet hat.

Sie haben mir – wie viele andere Menschen auch – geschrieben, und das Gesetz scharf kritisiert bzw. mich gebeten, es abzulehnen. Ich bitte im Verständnis, dass ich aufgrund der vielen Zuschriften gesammelt antworte.

Sie haben mir geschrieben, weil Sie Sorge haben, dass durch die unterschiedlichen Maßnahmen des Gesetzes massiv in die Rechte von Geflüchteten eingegriffen und sie dauerhaft von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden. Diese Bedenken teile ich und habe sie immer wieder gegenüber der Union und in meiner Fraktion zum Ausdruck gebracht. Die Änderungen, die im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens am Gesetzentwurf vorgenommen wurden, sind aus meiner Sicht nicht weitgehend genug, um meine Bedenken auszuräumen.

Ich habe am Freitag daher – anders als die Mehrheit meiner Fraktionmit „Nein“ gestimmt:

Weil ich die „Duldung für Menschen mit ungeklärter Identität“ ablehne. Sie beinhaltet trotz Verbesserungen zum Kabinettsentwurf weiterhin °Leistungseinschränkungen, °Arbeits- und °Bildungsverbote und schließt Geflüchtete langfristig von Integration und Teilhabe in unsere Gesellschaft aus. Das betrifft alle, die keinen Pass vorlegen können und keineswegs nur solche Personen, die über ihre Identität täuschen. Dadurch, dass die Duldungszeiten in diesem Status nicht mit angerechnet werden, werden viele junge Geflüchtete aus komplexen Herkunftssituationen (etwa in Iran aufgewachsene Afghanen) zumindest zeitweise um ihre Möglichkeiten einer guten Integration gebracht (Bleiberecht nach § 25 a Aufenthaltsgesetz).

Weil ich es für nicht akzeptabel halte, die maximale Aufenthaltsdauer in AnkER-Zentren von sechs auf 18 Monate anzuheben, für einige Personengruppen sogar unbefristet zu ermöglichen. Die AnkER -Zentren an sich sind eine fragwürdige Art der Unterbringung, die allenfalls vorübergehend hinnehmbar ist. Allein durch die bestehenden °Einschränkungen der persönlichen Aufenthalts- und Bewegungsrechte, die °Arbeitsverbote (immerhin für viele nun nur in den ersten neun Monaten) und der häufig isolierten Lage der AnkER-Zentren, halte ich die dauerhafte Unterbringung von Geflüchteten dort für menschenunwürdig. Ein regelhafter Aufenthalt von bis zu 18 Monaten hat für mich keinen vorübergehenden Charakter mehr. Als Sozialpolitikerin und aus meiner Beschäftigung mit dem Thema Langzeitarbeitslosigkeit weiß ich sehr gut, was lange Phasen der erzwungenen Untätigkeit mit Menschen machen. Wir verschenken hier unglaublich viel Potenzial und multiplizieren die vorhandenen Vermittlungshemmnisse (Sprachbarriere, Traumata etc.) um ein Vielfaches.

Weil für mich ebenfalls aus sozialpolitischer Perspektive die kompletten Leistungsstreichungen im Asylbewerberleistungsgesetz für in anderen EU-Staaten anerkannte Flüchtlinge nicht tragbar sind. Sie widerspricht dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012. Und auch wenn das damals ein anderer Kontext und eine andere Fallkonstellation war: An der Aussage, dass ein menschenwürdiges Existenzminimum für alle sich in Deutschland Aufhaltenden zu garantieren ist, und Leistungskürzungen aus migrationspolitischen Erwägungen nicht legitim sind, gibt es für mich nichts zu interpretieren.

Den anderen Gesetzen des Migrationspaketes, etwa dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, dem Asylbewerberleistungsgesetz oder dem Ausländerbeschäftigungsfördergesetz, habe ich zugestimmt. Aus meiner Sicht beinhalten sie zwar in unterschiedlicher Ausprägung, aber dennoch – äußerst sinnvolle und begrüßenswerte Verbesserungen für Geflüchtete.

So bekennt sich Deutschland endlich dazu, ein Einwanderungsland zu sein. Wir erleichtern es Fachkräften, zu Arbeit und Bildung nach Deutschland zu kommen. Wir schaffen die Förderlücke ab und endlich gibt es eine Ehrenamtspauschale für Geflüchtete, ganz zu schweigen davon, dass wir den Zugang zu Sprachkursen und zur Ausbildungsförderung für sehr viele Menschen mit Fluchtgeschichte erheblich erleichtern. Wir schaffen eine Beschäftigungsduldung für diejenigen Geduldeten, die in Beschäftigung sind und sich nichts haben zu Schulden kommen lassen und wir schaffen die sogenannte Täuschungsfalle ab. Das sind sehr wichtige Schritte in die richtige Richtung.

Zum Schluss möchte betonen, dass Abschiebungen für mich zu einem funktionierenden Asylsystem selbstverständlich dazugehören – diese Möglichkeit auszuschließen, würde das System ad absurdum führen. Für mich als Sozialdemokratin muss der Schwerpunkt dabei aber auf der freiwilligen Rückkehr liegen, die wir durch Anreize und Perspektiven im Heimatland stärken müssen. Wir müssen Flucht und Rückkehr als Ganzes betrachten – dazu gehören für mich neben humanitärer Unterstützung der Herkunftsländer, erträglicher Bedingungen und Infrastruktur für Geflüchtete in der Heimatregion auch legale Flucht- und Einwanderungswege, durchaus als Gegenleistung für Rückübernahmeabkommen mit den Herkunftsländern. Und für die Geflüchtete, die auf Dauer in Deutschland leben – ob anerkannte Flüchtlinge oder nicht – müssen wir die bestmöglichen Rahmenbedingungen für Integration schaffen.

Ich bin zutiefst überzeugt, dass die Maßnahmen im „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ Abschiebungen nicht erleichtern werden, sondern das Gegenteil bewirken. Wir schaden nicht nur Geflüchteten, sondern schaffen Zulauf für Radikale und Islamisten und spielen Clan-Kriminellen in die Hände. Das kann nicht das Ziel sozialdemokratischer Politik sein.

Mit freundlichen Grüßen

Daniela Kolbe
—————————————————-
Daniela Kolbe
Mitglied des Deutschen Bundestages
SPD-Bundestagsfraktion

http://www.daniela-kolbe.de

Postanschrift:
Daniela Kolbe, MdB
Platz der Republik 1
11011 Berlin

Telefon: 030/227-75429
Telefax: 030/227-76671
E-Mail: daniela.kolbe@bundestag.de

2 Kommentare zu diesem Artikel bisher »

Kommentare zu »IM WORTLAUT – Daniela Kolbe, MdB: Mein „Nein“ zum ‚Geordnete-Rückkehr-Gesetz‘«

  1. warum gibt es nicht mehr solcher mutigen Sozialdemokrat_inn_en,bei denen diese soziale Demokratie nicht nur eine worthülse ist!!
    UM EUROPA KEINE MAUER – BLEIBERECHT FÜR ALLE UND AUF DAUER!

  2. […] >> siehe dazu: IM WORTLAUT – Daniela Kolbe, MdB: Mein “Nein” zum ‘Geordnete-Rückkehr-Gesetz’ […]

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