Günter Kunert: Gesichter eines Kontinents

Frauenkopf_Foto durch Isolde Ohlbaum

Kunstbuch-Autor: Günter Kunert ©  schreibt in diesem Beitrag über seine Sammlung afrikanischer Holzskulpturen

Isolde Ohlbaum hat die auf Reisen zusammengetragene Kunst fotografiert.1 Kunert attestiert den Künstlern und Künstlerinnen jener Skulpturen ein „verblüffend sicheres Gespür für Form und Maß“. [DAS BUCH „Gesichter Afrikas“ von Günter Kunert (Text) und Isolde Ohlbaum (Fotografien) ist im Bremer Donat-Verlag erschienen (48 Seiten, reich bebildert)].

BREMEN, 14.02.2015 – Durchschnitts-Europäer wie wir wissen vom „dunklen“ Kontinent wenig genug. Unsere Kenntnisse stammen hauptsächlich aus Zeitungen, Reiseführern und Bildberichten. Nelson Mandela und Idi Amin würden wir wohl als einzige uns bekannte Gesichter auf der Straße identifizieren können. Vom Wesen der Afrikaner und Afrikanerinnen aber, von ihrer Entwicklungsgeschichte und – dies vor allem – ihrem Selbstverständnis habe wir keinen Schimmer.

die „Seele Afrikas“

Stehen uns die „Schwarzen“ in ihrem Erdteil schon fern, so produzieren wir eine emotionale Distanz, sobald sie uns nahe rücken: als Flüchtlingen und Geflohene beispielsweise. Wir registrieren beiläufig die durch kaffeebraune Haut extrem auffälligen Augen und Zähne – letztere mit Neid vermerkt. …  …

Selbst die Gutwilligen, die aufgeklärten und human Gesinnten jedoch sind vermutlich ganz außerstande, sich in das hineinzuversetzen, was versimpelnd und billig die „Seele Afrikas“ genannt wird.

Die afrikanischen Köpfe, obschon aus keiner anderen Absicht entstanden, unterscheiden sich vom gewohnten Trödel. Aus dem einfachen Grund, dass jeder von ihnen der gelungene Ausdruck der Intention seines Herstellers ist. Keine Spur von leerer, entleerter Routine, durchgearbeitet bis zu jenem Punkt, wo ein weiteres Spanabheben, ein nächster Schnitt, alles zerstört haben würde. Kein Zuviel, kein Zuwenig.

Das verblüffend sichere Gespür für Form und Maß zeigt die Fähigkeit des Künstlers und ist sein unverwechselbares Merkmal. Wo und wann die Köpfe geschaffen wurden, weiß ich nicht. Nicht mal, aus welchen Regionen, aus welchen Gebieten sie stammen, ist mir bekannt. Und ich muss gestehen, dass mir das auch recht gleichgültig ist. So wenig, wie ich beim Betrachten von Kunstwerken zuerst nach Ort, Datum und Produzenten frage.

zum „Kopfjäger“ geworden     –        Brücke zum Verstehen

Ich gestehe, ich würde zum „Kopfjäger“. Wo immer ich mich im Ausland aufhielt – und es verging kein Jahr, an dem ich nicht durch die sogenannte Fremde reiste -, suchte ich in meinem Leben jene Plätze auf, wo ich Fundstücke für meine Interessen vermutete. Abgesehen von altem Blechspielzeug, nach dem ich Ausschau hielt, suchte ich nach „African Heads“. Hauptsächlich wurde ich bei den einstigen Seefahrernationen fündig, in England, in Holland. London Portobello Road war mein Zielpunkt.

Dergestalt kam eine nicht sehr umfangreiche Sammlung zusammen, welche die Grundlage für ein Fotobuch abgeben sollte – obwohl das keineswegs der Zweck meiner Sammelleidenschaft war.  Denn der Sammler, man weiß es, sammelt nicht für die Öffentlichkeit, er sammelt für sich.  Er setzt sich mit seinen Objekten auseinander, sie haben ihm etwas zu sagen, sie bereichern ihn für relativ geringe Kosten.

Dass Kunst, Klein-Kunst in diesem Fall, eine breite Brücke zum Verstehen des uns Fremden baue, kann mit Ernst nicht behauptet werden.  Die von Afrikanern geschnitzten Köpfe tragen immerhin zur intensiveren Inaugenscheinnahme, zur interessierten Hinneigung und zur Anschauung des uns alle verbindenden „Allgemeinmenschlichen“ bei, das unter ideologischen Gänsefüßchen lange, lange abgewertet worden war.

© Nordwest-Zeitung 2015

 

 

© Günter Kunert (85) wurde berühmt als Lyriker und Essayist. Im Zuge der Wolf-Biermann-Ausbürgerung verließ er 1979 die DDR. Kunert ist Präsident des deutschsprachigen Auslands-PEN und lebt in einem Dorf bei Itzehoe.

1 Isolde Ohlbaum (61) machte sich einen Namen, als sie nahezu alle bedeutenden Schriftsteller deutscher Sprache des ausgehenden 20. Jahrhunderts porträtierte. Sie lebt in München und brachte Bildbände über europäische Friedhöfe, Tieraufnahmen und Blumen heraus.

 

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