Kommentar von Henning Melber zum Urteil gegen Oscar Pistorius.
Am Valentinstag 2013 zu spätnächtlicher Stunde von ihrem Freund – angeblich als vermeintlicher Einbrecher – im verschlossenen Badezimmer erschossen, bot der Tod des Modells Reeva Steenkamp den Stoff, nach dem die Regenbogenpresse giert. Doch es ging um mehr als nur die Klatschspalten. Im Koordinatensystem von Klassen- und Rassengesellschaft ging es nach zwanzig Jahren Demokratie um die Glaubwürdigkeit einer Gesellschaft nach der Apartheid. Dieser Herausforderung wäre wohl auch eine halbwegs repräsentative Geschworenenbank (die es im südafrikanischen Rechtssystem nicht gibt) bei der Urteilsfindung kaum gewachsen gewesen. Das Wechselspiel von Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Richterin Thokozile Masipa war dieser Aufgabe vielleicht sogar besser gewachsen, auch wenn auf Richterin Masipa ein enormer Druck lastete. Sie hielt diesem mit bravouröser Nüchternheit fast schon lapidar stand.
Ob vier Schüsse durch eine geschlossene Tür in einen kleinen Raum ohne Fluchtmöglichkeit noch als fahrlässige Tötung durchgehen oder nicht eher einen Akt darstellen, der den Tod einer Person auf der anderen Seite billigend wenn nicht sogar vorsätzlich in Kauf nimmt, war die wohl wichtigste und strittigste Entscheidung. Richterin Masipa billigte dem Angeklagten strafmindernde Fahrlässigkeit zu, bewertete jedoch zugleich das Ausmaß an unbeherrschter Gewalt als exzessiv und damit erschwerend, was den Grad der Schuld betrifft.
Tathergang und Motive mussten trotz aller Spekulationen und Spitzfindigkeiten letztlich als ungeklärt akzeptiert werden. Gab es doch nur zwei unmittelbar Beteiligte. Reeva Steenkamp als das Opfer konnte dazu keine Aussage mehr machen. Der Täter Oscar Pistorius war oder gab zumindest vor, als gebrochenes Häufchen Elend in Selbstmitleid Opfer seiner Tat zu sein. Trotz aller Ressentiments, die seine Auftritte im Gerichtssaal provozierten (und die Richterin zu der Einschätzung führten, dass er als Zeuge völlig widersprüchlich und unglaubhaft gewesen sei), gilt auch in diesem Falle die Unschuldsvermutung: im Zweifel für den Angeklagten. Dass dieser den Tod Reeva Steenkamps verschuldet hat, blieb ein Faktum. Aber dessen Umstände müssen wohl für immer als ungeklärt gelten.
Angesichts dieser Konstellation stand nicht nur Oscar Pistorius vor Gericht, um sich seiner Tat zu verantworten. Auf dem Prüfstand stand spektakulär vor den Augen und Ohren einer Weltöffentlichkeit das südafrikanische Rechtssystem und die Justiz des Landes. Wenn selbst BBC World die Verkündung des Urteils live aus dem Gericht sendet, bedarf es keines weiteren Beweises, was das internationale Interesse betrifft. Auch Spiegel online und zahlreiche Foristen ereiferten sich fast so intensiv wie im Fall Hoeneß. Angesichts dieser Situation stand schon vor der Verkündung des Schuldspruchs und Strafmaßes fest, dass jegliches Urteil umstritten bleiben würde. Unter zigmillionen Staatsanwälten, Verteidigern und Richtern in der ganzen Welt konnte es kein Einverständnis geben.
Fünf Jahre Haft, von denen vermutlich weniger als ein Jahr im Gefängnis abgesessen wird, mag für Viele als milde gelten. Das abrupte Ende einer Sportlerkarriere auf dem Zenit des Ruhms, der jähe Verlust lukrativer Werbeeinnahmen sowie des relativen materiellen Wohlstands wiegt vielleicht sogar schwerer. Es mag ein Trost sein, dass sich OP (man sehe mir die Anspielung auf OJ nach) nie mehr zum Helden eignet. Verteidigung und der Anwalt der Familie Steenkamp erklärten, das Urteil akzeptieren zu wollen. Der Staatsanwaltschaft reicht das nicht: Sie hat mittlerweile Berufung eingelegt. So ist ein Ende vorerst nicht in Sicht.
Reeva Steeinkamp macht all dies nicht lebendig. Und das horrende Ausmaß männlich-obsessiver Gewalt gegen Frauen und Kinder im Lande blieb vom Prozessverlauf leider auch unberührt. So bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Vielleicht hat diese Stimmung Ranjeni Munusamy im „Daily Maverick“ am besten ausgedrückt: „Er war unser Superstar, unser Goldmedaillengewinner, unser Fahnenträger, unser Champion. Er ist es nicht mehr. … Er muss jetzt nur verdammt nochmal aus unserem Leben verschwinden. Er hat den Verstand und das Anstandsgefühl dieser Nation genug beleidigt. Er hat eine von uns umgebracht. Er verdient es nicht, einer von uns zu sein.“
Henning Melber
Quelle: AFRIKA SÜD, 5/2014, http://www.afrika-sued.org/aktuellesheft/
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