BRICS-Club   –   bric-á-brac oder mal wieder viele Fehleinschätzungen?

Die Staatschefs von Brasilien, China, Südafrika, Indien und Russland vertreten den bisherigen Kern der BRICS-Staaten [Foto: Palacio do Planalto, ccby-nd 2.0 | perspektiveausland.com]

Robert Kappel und Thomas Bonschab nehmen den 16. Gipfel der BRICS-Staaten, der im Oktober 2024 in Kasan, Russland, stattfand, unter die Lupe:

China sollte eigentlich nicht zu den BRICS gezählt werden. Das Land ragt in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht zu sehr aus dem Rahmen – es ist eben kein Schwellenland, sondern eine innovationsgetriebene Supermacht, die sich mit den USA anlegt. Für diesen Zweck ‚instrumentalisiert‘ China den BRICS-Club.

Die deutsche und internationale Presse ist voller Hohn und abfälliger Bemerkungen zum BRICS-Gipfel in Kasan/Russland. Nichts sei herausgekommen, alles nur blabla, wie ein Journalist schrieb. Rolf Langhammer vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel meinte „Größe ist nicht gleich Macht“. Andere charakterisierten den BRICS-Club als bric-à-brac, Krempel- oder Trödelladen. In mancher Hinsicht kann man ihnen zustimmen. Aber ein blabla-Gebilde ist BRICS jedenfalls nicht. Denn er hat die globale Ökonomie und Weltgesellschaft umgemodelt und alle, die annahmen, China und der Club würden bald wieder von der Bildfläche verschwinden, haben sich getäuscht.

Heterogener Club

BRICS ist ein heterogener Club und ist durch die Erweiterung zu BRICS-plus noch heterogener geworden. Denn nun kommen zu den ursprünglichen Ländern Brasilen, Russland, Indien, China (seit 2006) und Südafrika (seit 2009) die Länder Äthiopien, Ägypten, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate (VAE) und Iran hinzu. Die Erdogan-Türkei wollte auch teilhaben, aber das war dem indischen Premier Modi dann doch zu viel und er legte ein Veto ein. Erdogan schäumte, kann er doch seine Schaukelpolitik zwischen den Blöcken nicht ungestört weiterführen. Erstmal. Russland hätte die Türkei gerne dabeigehabt. Die Strategie ist offensichtlich: Spaltung der NATO.

Auch in sonstiger Hinsicht ist der BRICS-Club (noch) kein einheitlicher Club, der die wesentlichen Fragen der Zukunft gestalten kann. Das hat viele Gründe. Ein Grund ist: die Länder sind extrem unterschiedlich, Wirtschaft, Einkommensniveau und Bevölkerungszahl (Indien und China über 1,2 Mrd. Südafrika ca. 50 Mio.). China und Indien spielen in einer anderen Liga als Brasilien und Südafrika. Diese schwimmen mit, um sich je nach Interessenslage mal nach West mal nach BRICS zu schaukeln. Und das machen sie so wie viele Länder der nicht-Pakt-gebundenen Staaten. Durch Club-Mitgliedschaft können sie das meiste für sich rausholen, und das ist mehr als ihnen allein gelingen könnte. Das seit Jahren schwächelnde Brasilien kann unter Lula nicht viel anbieten. Außer Rohstoffe, die China für seine Wirtschaftsentwicklung importiert.  Südafrika wirft sich China politisch in die Arme und hofft auf höhere chinesische Investitionen und mehr Handel. Der Wettbewerbsdruck durch innovative chinesische Unternehmen, die weltweit wegen hoher economies of scale ihre Produkte günstig anbieten, erleichtert die Industrieentwicklung Brasiliens und Südafrikas nicht gerade. Brasilien wie Südafrika und vor allem Russland geraten immer mehr ins Schlepptau Chinas.

Die Länder des Globalen Nordens (G7) haben prinzipiell mehr anzubieten, wie bspw. relativ offene Märkte, Technologiezugang und Investitionen. Nur geschieht dies in der Realität nicht in hinreichendem Maße zum Nutzen der Länder des Globalen Südens, die an der Dominanz von G7 leiden und ihren Spielraum eingeschränkt sehen, bspw. durch mangelndes inklusives Wachstum oder die Dollar-Dominanz. Das hat einige Länder in die Arme des BRICS-Clubs getrieben, denn sie erhofften sich wirtschaftliche Entwicklung und verringerte Abhängigkeiten im Außenhandel oder bei den Investitionen. Bislang allerdings hat auch das nicht so richtig funktioniert. Aber immerhin hat man mit BRICS ein Forum, das eine Alternative, wenn auch eine unzureichende, zum Westen bietet.

Ein großer Club

Auf dem Papier ist der BRICS-Club und noch mehr der BRICS-Plus-Club stark. Dies zeigen ein paar Daten. Die BRICS-Volkswirtschaften erbringen über 36% des Weltsozialprodukts (2024). 40% der globalen Finanzreserven entfallen auf die BRICS-Länder, und sie haben einen Anteil am Welthandel von 25%. Zwischen 2000 und 2021 stieg der Anteil der BRICS-Länder an den weltweiten ausländischen Direktinvestitionen von 6% auf 25%, davon entfiel der größere Teil auf China. D.h. die BRICS-Länder haben in wirtschaftlicher Hinsicht die globalen Machtverhältnisse verschoben. Allerdings dominiert China den BRICS-Club, so wickelt China bspw. 72% aller BRICS-Exporte ab.

Potentiale reichen nicht aus, um einen Block zu bilden. Dazu braucht es mehr. Das sieht man daran, dass die Wirtschaftsbeziehungen der Clubländer untereinander schwach entwickelt sind. Auch hier wieder bildet China eine Ausnahme, das im bilateralen Handel und bei den Investitionen ein gewichtiger wirtschaftlicher Player in den BRICS-Staaten ist. Ansonsten aber nur geringer Austausch, was u.a. auch an der schwachen Industrialisierung in den meisten BRICS-Ländern liegt.

Immer noch richten sich die BRICS-Staaten wirtschaftlich weitgehend am Westen aus. Zwar hat sich einiges geändert, aber es reicht nicht, um die Abhängigkeiten vom Westen abzuschütteln. Das gilt auch für die BRICS-Währung R5 (Rubel, Rupie, RMB, Real und Rand). Sie hat bislang nur geringe Bedeutung und hängt zudem am Dollar, trotz zahlreicher Initiativen, sich zu entdollarisieren. Nicht zuletzt hat die „Weaponization“ des Dollars einen größeren Durchbruch zu einer BRICS-Währung, die von China dominiert würde, vereitelt.

Auch in anderer Hinsicht, darf man BRICS nicht überschätzen. Es gibt – abgesehen von China und Indien – keinen Aufholprozess in Richtung der Pro-Kopf-Einkommen des Westens. Im Gegenteil, die BRICS-Länder fallen zurück, lediglich China konvergiert zu den G7. Der nur schwache Aufstieg der BRICS-Länder hat zur Folge, dass die BRICS-Gruppe auch keinen nennenswerten Einfluss auf die Länder des Globalen Südens ausüben kann. Zu wenig attraktiv, zu geringe technologische Dynamik, zu wenig Offenheit, zu niedrige Club-Investitionen, zu wenig kultureller Austausch, zu wenig von allem. In allen Belangen kann lediglich China dem Westen Paroli bieten und im Wettbewerb mithalten. In den letzten Jahren hat China sogar viele G7-Länder, was die Wirtschaftskraft betrifft, hinter sich gelassen. Und noch etwas ist von Belang: Die wirtschaftlichen Eliten der BRICS-Länder orientieren sich vor allem an den Vereinigten Staaten, vielleicht an Europa, und auch an China, aber nicht an Russland, Indien, Iran, die VAE oder Äthiopien. Oft sind sie autoritär gesteuert und nur wenig attraktiv für Kooperationen, zumal die Märkte dieser Länder rein größenmäßig nicht mit G7 vergleichbar sind. Wer mag  schon nach Russland auswandern oder dort investieren, wenn die russische Elite das Land Richtung USA verlässt.

Ein attraktiver BRICS-Club?

Wie man auch immer die Dinge hin und her wälzt. Der BRICS-Club ist noch nicht anziehend genug, nicht einmal für den Globalen Süden. Das Einzige, wo er punkten kann, ist die Gegnerschaft zum Westen und hier hat er Rückhalt: 1. Der Globale Norden blockiert weiterhin die dringend erforderlichen Reformen in den internationalen Organisationen, der dem Globalen Süden eine angemessene Repräsentation zugestehen würde, bspw. bei den Stimmrechten im IWF oder der Weltbank. 2. Der BRICS-Club hat ein Ohr für autoritäre Regime, die sich gegen den Westen auflehnen, und da der Autoritarismus auf dem Vormarsch ist, stärkt das den BRICS-Club. 3. Der BRICS-Club kann durch sein geo-strategisches Agieren vom Versagen der eigenen Entwicklungen ablenken. Besonders deutlich wird dies im Iran, Südafrika, Brasilien oder Äthiopien. Ob das Ablenken von den Versäumnissen tragfähig ist? 4. Der BRICS-Club kann so Potenzial von Unzufriedenen um sich scharen, auch ohne eine tragfähige Option anzubieten.

Lediglich China und Indien können dem BRICS-Club Profil und Macht verleihen. Sie haben genügend Ausstrahlung, um ein Gegenmodell zu begründen. Aber Indien hat vollkommen andere Vorstellungen als China (bspw. was Handelskooperation und Währungsfragen betrifft). Wenn es dem BRICS-Club gelingen sollte, sich attraktiver aufzustellen, braucht es mehr als ein  Anti-West-Modell. Dafür benötigte es Handelsverträge mit dem Globalen Süden oder gleichberechtigte Industriebeziehungen, ein tragfähiges Währungsmodell mit einer harten konvertiblen R5-Währung, die nicht zu stark von China abhängig ist. China und Indien bieten auch aufgrund ihrer großen Märkte attraktive Kooperationsmöglichkeiten, die anderen haben nur auf wenigen Gebieten etwas anzubieten, wie bspw. Saudi-Arabien Öl, VAE Öl, Iran Öl, Brasilien Eisenerz, Südafrika Autos, Platin und Wein, Ägypten Öl und Autos und Äthiopien billige Arbeitskräfte. Einige Länder stecken zudem in der Mitteleinkommensfalle, wie Brasilien und Südafrika.

Durch Schaukelpolitik können die BRICS-Plus-Länder Stärke im globalen Machtgefüge einbringen. Sie können mal auf der einen Seite, dann auf der anderen stehen. Aber alles hängt an China. Die meisten Mitgliedsländer sind absteigende Länder, die lediglich regional Einfluss ausüben. Aber durch ihre Club-Kooperation steuern sie die globale Versorgung mit Rohstoffen, auf die vor allem Europa angewiesen ist. Rohstoffe dienen ihnen als Anker und hält sie zusammen, wodurch sie im global power play Einfluss nehmen. Daher ist es auch fatal, dass bspw. die EU bislang über keine strategische Agenda für die Kooperation mit diesen Ländern verfügt.

Der Westen hat nicht die Missionen erfüllt, die er hätte erfüllen können. Kein nachhaltiges und inklusives Modell der globalen Wirtschaftsentwicklung, stattdessen Dollar-, Finanzmarkt- und Industriedominanz, Beherrschung der globalen Wertschöpfungsketten durch multinationale Konzerne aus den G7. Hier kann nur China mithalten.

Vielfach wurde der BRICS-Club für tot erklärt, aber der Club hat – gesteuert durch die VR China – seine  Macht ausgeweitet. Er verkörpert ein Gegenmodell. Alle Bekundungen im Westen, BRICS würde bald zerfallen, erweisen sich als falsch und nicht selten als arrogante Attitüde. BRICS ist andererseits wiederum auch nicht so stark, wie man gerne in BRICS-Kreisen formuliert, bspw. von Russlands Diktator auf dem BRICS-Treffen in Kasan.

BRICS am Scheideweg

Geht der Club voran, auf Reformkurs oder wird er zum Instrument Chinas? Aus wirtschaftlicher Sicht hat BRICS nur Bestand, weil die VR China die Weichen stellt, aber China ist wirtschaftlich weit mehr mit dem Globalen Norden verbunden als mit dem Globalen Süden. China realisiert, dass BRICS im gegenwärtigen Zustand noch nicht mehr als ein bric-à-brac ist. Zu groß sind die Unterschiede und zu wenig wurde erreicht. Dies ermöglicht China, in allen anstehenden Strategien so zu agieren, wie es dem Land am besten passt. Lediglich Indien kann dem etwas entgegensetzen.

Da Chinas Staatsrat langfristig und strategisch agiert, wird China den BRICS-Club und auch den Globalen Süden für seine eigenen Zwecke durch seine Wirtschaftsdominanz im Club nutzen, und sich möglicherweise wieder umorientieren. Entweder gibt es einen Sprung, um die Kohäsionskräfte durch Intra-Handel und -Investitionen zu stärken, mehr Währungsautonomie zu erwirken, und so den Club als wirkliches Gegenmodell zum Westen aufzustellen. Oder aber BRICS wird ein polit-ökonomischer Club ohne nachhaltige Integrationsstrategie. Dieser Prozess scheint schon eingeleitet, denn die zusätzlich in den Club aufgenommenen Länder machen ihn noch heterogener. So kann er weniger Strahlkraft entwickeln und alle Mitgliedsländer hängen noch stärker vom weiteren Vorgehen Chinas ab. Mehr oder weniger BRICS – das fragen sich die chinesischen Entscheidungsträger. Diese evaluieren, ob BRICS ein globales Zukunftsmodell mit China-Dominanz sein wird, oder nur ein Durchgangsstadium für eine andere Ordnung. Denn China wird mit schwachen und absteigenden Staaten wie Russland, Brasilien, Südafrika, Äthiopien oder Iran wirtschaftlich auf mittlere Sicht nur wenig anfangen können. Außer Rohstoffkooperation und Diversifizierung seiner eigenen Wirtschaftsagenden –  zu wenig für Chinas Aufstieg zur führenden globalen Wirtschaftsnation. Die gegenwärtige politische und  militärische Modellkonfrontation mit dem Westen der G7 könnte durch ein anderes und viel attraktiveres Konzept abgelöst werden.

Der BRICS-Plus-Club könnte sich somit für China (und eventuell auch Indien) als weniger attraktiv erweisen als vom Globalen Süden, von Putin und schwachen BRICS-Mitgliedern angenommen. Sie verfügen lediglich über Rohstoffe, gegenwärtig noch ein wichtiges Asset im globalen Wettbewerb, aber die Musik spielt in der technologischen Entwicklung. Wer technologisch führt, d.h. digitale Technologien, Roboterisierung und künstliche Intelligenz, Energietransfer, Halbleitertechnologien, Betriebssoftware entwickelt und globale Normen und Standards zu setzen weiß, steht an der Spitze. In diesem Kampf ringen vor allem die USA, Europa, Japan, Korea und China um die Führung – nicht aber der BRICS-Club. D.h. Chinas zukünftiger Erfolg hängt mehr denn je von den Wirtschaftsbeziehungen mit dem Globalen Norden als vom Globalen Süden ab. Wirtschaftlicher Erfolg gelingt nur mit den starken Wirtschaftspartnern der G7 und nicht mit schwächelnden BRICS-Club-Ländern.

D.h. der BRICS-Club könnte zum Auslaufmodell werden.

Die heterogene Runde der BRICS-Staaten hat sich um etliche neue Mitglieder erweitert. [Foto: Palacio do Planalto, cc by-nd 2.0 | perspektiveausland.com]

Literatur:

Robert Kappel (2024), WILLKOMMEN IM CLUB. Globale wirtschaftliche Machtverschiebungen durch BRICS, in APuZ (Aus Politik und Zeitgeschichte) 49, November 2024.

Quelle: afrika süd 5-6/2024; Robert Kappel und Thomas Bonschab: BRICS-Club– bric-à-brac oder mal wieder viele Fehleinschätzungen?

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