Viele sind besorgt wegen Donald Trump. Aber mindestens ebenso beunruhigen müsste, dass sich einige EU-Staaten Schritt für Schritt in Autokratien verwandeln. Martin Klingst* kommentiert:
Frei nach Winston Churchill ist die Demokratie noch immer die beste aller bislang ausprobierten Regierungsformen. Und nicht nur das: Unter einer Demokratie versteht man landläufig nicht nur die Achtung des Volkswillens, sondern ebenso die Achtung der Menschen- und Minderheitenrechte und der Gewaltenteilung.
Demokratie ist also nicht nur eine Regierungs-, sondern zugleich eine freiheitliche Lebensform. Sie ist deshalb bis heute Sehnsuchtsort für Abermillionen von Menschen, die in Diktaturen, in autoritären oder totalitären Staaten aufwachsen und leben müssen.
Doch diese Form der Demokratie ist bedroht. In den Zeiten der Trumps, Orbáns und Kaczyńskis werden Wahlsiege und parlamentarische Mehrheiten in einen absoluten Machtanspruch umgedeutet, dem sich alles andere – auch das Recht – unterzuordnen hat.
Alle Welt schaut gegenwärtig auf die Vereinigten Staaten und Donald Trump. Das ist verständlich, Amerika ist nach wie vor eine wirtschaftliche, militärische, wissenschaftliche und politische Supermacht. Was dort geschieht, kann die ganze Welt zu erschüttern.
Aber aus deutscher Sicht müsste man mindestens ebenso beunruhigt sein über das, was sich in unserer direkten Nachbarschaft tut, in demokratischen Staaten der Europäischen Union, die sich Schritt für Schritt in Autokratien verwandeln. Was etwa in Polen oder Ungarn geschieht, was demnächst vielleicht auch in den Niederlanden und in Frankreich droht, untergräbt die Fundamente der Gemeinschaft – und damit unsere auf Freiheit, Sicherheit und Recht gründende europäische Nachkriegsordnung.
Wie Trump empfinden sich auch die Orbáns und Kaczyńskis als Vorkämpfer und Führer einer breiten Volksbewegung, die gegen die alten Eliten, die traditionellen Institutionen und den kulturellen Wandel aufbegehrt. Sie sehen sich im Krieg gegen die alte liberale Ordnung. In ihren Augen sind darum kritische Medien, widerborstige multilaterale Organisationen oder querstehende Richter Feinde, weil sie sich angeblich dem in demokratischen Wahlen zum Ausdruck gekommenen Volkswillen entgegenstemmen.
Doch es gibt zwischen der Neuen und der Alten Welt bislang einen entscheidenden Unterschied: In Amerika, dieser seit fast zweieinhalb Jahrhunderten existierenden Demokratie, wehren sich die Institutionen und das System der Checks and Balances recht erfolgreich gegen den Frontalangriff aus dem Weißen Haus. Man hat den Eindruck, sie werden angesichts der existenziellen Bedrohung geradezu wiederbelebt.
In Polen und Ungarn hingegen, diesen noch sehr jungen Demokratien, sind die traditionellen Abwehr- und Kontrollmechanismen zu schwach, sie knicken ein oder ordnen sich unter. Allenfalls gelingt wie etwa beim Widerstand gegen die Verschärfung des polnischen Abtreibungsgesetzes ein punktueller Erfolg.
Die Herrschaft der Mehrheit ist nicht grenzenlos
In den Vereinigten Staaten setzen die Gerichte und Institutionen der Regierung Trump immer wieder selbstbewusst Grenzen. Staatsbeamte weigern sich, Anordnungen auszuführen, die sie als rechtswidrig erachten. Gouverneure und Bürgermeister widersetzen sich, große Teile der Zivilgesellschaft bäumen sich auf. Und Medien wie die New York Times, die Washington Post oder CNN stocken gewaltig ihr Personal auf, weil sie es in dieser bedrohlichen Trump-Ära noch mehr also sonst als ihre Aufgabe sehen, über die in der Verfassung verbürgten Freiheitsrechte zu wachen.
Anders in Ungarn oder Polen. Dort müssen kritische Zeitungen und Fernsehsender ums Überleben kämpfen und werden mit steuergeldfinanzierten Medien unter Regierungsaufsicht gestellt. An den Kragen geht es auch der unabhängigen Justiz. Das angebliche Fehlverhalten einiger Richter wird zum Anlass genommen, die dritte Gewalt gleichzuschalten.
Im Auftrag der mit absoluter Mehrheit herrschenden polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) bringt das Justizministerium eine Knebelungsnovelle nach der anderen ins Parlament ein. Erst wurde das Verfassungsgericht enthauptet, dann wurden die Staatsanwälte dem Justizminister unterstellt. Nun sollen die Gerichtspräsidenten durch staatliche Direktoren ersetzt und der Nationale Richterrat, der über die Unabhängigkeit der Urteile wacht, nicht mehr mehrheitlich von Richtern gewählt werden, sondern vom PiS-hörigen Parlament. „Die Sonderkaste der Richter gehört damit der Geschichte an“, freut sich Polens Justizminister Zbigniew Ziobro.
Man sollte von einer „freiheitsgebundenen Demokratie“ sprechen
Ein derartiges Durchregieren wünschte sich wohl auch Donald Trump. Nur fallen ihm ständig die starken Gegenkräfte in den Arm, die in Ungarn oder Polen fehlen. Auch die Europäische Union hat nicht die Kraft, den Willen und letztlich auch nicht die rechtlichen Mittel, um die von einer großen Mehrheit gewählten autokratischen Herrscher in Warschau nachhaltig zu stoppen.
In diesen illiberalen Zeiten der Trumps, Orbáns und Kaczyńskis erklärt sich der Begriff Demokratie leider nicht mehr von selbst. Er braucht außer mutigen Verteidigern auch ein ergänzendes Adjektiv, ein Eigenschaftswort, das klarstellt, wie eine Demokratie in ihrem Inneren beschaffen sein muss.
Man sollte darum von einer „freiheitsgebundenen“ oder „rechtsstaatsgebundenen“ Demokratie sprechen. Nur dann wird deutlich, dass in diesem besten aller bisherigen Regierungssysteme die Herrschaft der Mehrheit nicht grenzenlos ist, sondern ihrerseits Beschränkungen unterliegt. Dass sie verpflichtet ist, die allgemeinen Menschenrechte, die Gewaltenteilung und die in den jeweiligen Verfassungen festgeschriebenen Bürgerrechte zu achten. Denn regiert allein der unbedingte Mehrheitswille, wird die Demokratie zur Diktatur.
*Martin Klingst, ZEIT-ONLINE, Fünf vor 8, 27.02.2017
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