Heiko Maas sagt nach Paragraf 175 verurteilten Homosexuellen insgesamt 30 Millionen Euro zu. Der Justizminister rechnet damit, dass etwa 5000 Menschen einen persönlichen Anspruch anmelden können. Tobias Peter* fasst zusammen:
BERLIN, 10.10.2016: Es gibt Gesetze, die können Leben zerstören. Der Paragraf 175 des Strafgesetzbuches war so eines. Er stellte Sex zwischen Männern unter Strafe. Auch nach der NS-Zeit galt der Paragraf viele Jahre unverändert fort, endgültig gestrichen wurde er erst im Jahr 1994. Zwischen 1949 und 1969 kam es in der Bundesrepublik zu etwa 50 000 Verurteilungen. Die Folge waren nicht nur Haftstrafen, sondern auch der soziale Tod der Betroffenen.
Bis heute sind diese Verurteilten nicht offiziell rehabilitiert. Der Bundestag hat zwar im Jahr 2000 in einer Entschließung bedauert, dass der Paragraf 175 auch nach 1945 fortbestanden hat. Konsequenzen hat er daraus jedoch nicht gezogen. Das soll sich in Kürze ändern, hat Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) versprochen. Und, wie es aussieht, liefert er. Ein Gesetzentwurf, der die Aufhebung der Urteile vorsieht, sei jetzt so gut wie fertig, bestätigte eine Sprecherin des Justizministeriums.
Etwa 5000 Berechtigte
Für das Projekt sollten insgesamt 30 Millionen Euro aufgewendet werden, sagte Maas der „Süddeutschen Zeitung“. Das heißt: Es sollen nicht nur die Urteile aufgehoben werden, sondern gleichzeitig soll es Geld etwa für Forschung geben, „um das Leid und Unrecht, das Einzelne erlitten haben, aufzuarbeiten und zu dokumentieren“. Neben einer solchen Kollektiventschädigung soll auch der Einzelne einen Entschädigungsanspruch geltend machen können – und zwar, so der Minister, möglichst unkompliziert.
Letzteres ist auch deshalb wichtig, weil viele der Anspruchsberechtigten sehr alt sind – wenn sie denn überhaupt noch leben. Maas rechnet also damit, dass noch etwa 5000 Menschen einen persönlichen Anspruch anmelden könnten. Die Höhe der Entschädigung werde „immer auch vom konkreten Einzelfall abhängen“, sagt Maas, „etwa der Länge einer Freiheitsstrafe“. Dem Vernehmen nach könnte jeder Homosexuelle, der wegen des Paragrafen 175 in Haft saß, wohl mit einigen Tausend Euro rechnen.
Die Entschädigung wäre also weniger eine Abgeltung des wirklichen Schadens, sondern vor allem ein Symbol. Wie weitreichend die Wirkung des Paragrafen selbst für die gewesen ist, die nicht gefasst und verurteilt wurden, zeigt etwa ein Beitrag aus der Zeitschrift „Die Freunde“ von 1952, die sich mit diesem betont neutralen Titel an Schwule wendet. Dort wird geraten, wegen der Gefahr von Hausdurchsuchungen „Freundschaftsbriefe“ am besten sofort wieder wegzuwerfen oder zumindest Namen und Adressen unkenntlich zu machen.
Warum aber wurde der Paragraf 175 so spät gestrichen? Warum hat es so lange gedauert, bis es jetzt voraussichtlich zur Rehabilitierung der Verurteilten kommt? Das gesellschaftliche Klima gegenüber Homosexuellen war auch im Nachkriegsdeutschland über viele Jahrzehnte extrem repressiv. Als sich dies zunehmend geändert hatte, wurden juristische Bedenken geltend gemacht. Alle Urteile aufzuheben, verstoße gegen das Gebot der Gewaltenteilung, wurde argumentiert. Ein Rechtsgutachten des Münchner Professors Martin Burgi im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes empfiehlt hingegen die Rehabilitierung.
Die CDU/CSU, in der sich viele lange schwertaten, werde das Gesetz wohl mittragen, ist aus dem Bundestag zu hören. Die Grünen dringen indes darauf, eine Entschädigung dürfe sich nicht nur an Haftstrafen orientieren. „Schon die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens konnte die gesamte bürgerliche Existenz vernichten: Ende der Karriere, Verlust des Arbeitsplatzes oder Entlassung aus dem Beamtenverhältnis“, sagte der Abgeordnete Volker Beck. Das müsse berücksichtigt werden.
*Tobias Peter, Frankfurter Rundschau, 10.10.2016, 5. [Redaktion für diesen Nachdruck: Ben Khumalo-Seegelken].
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