Die Bundesregierung will das Massaker an den Herero und Nama als Völkermord einstufen. Eine offizielle Entschuldigung ist geplant – aber keine Entschädigung.
BERLIN, 13. Juli 2016: Die deutsche Regierung hat erstmals in einem offiziellen Dokument die Massaker an den Herero und Nama als Völkermord anerkannt. Diese zuvor von Deutschland vermiedene Einstufung der Ereignisse von 1904 bis 1908 im heutigen Namibia „spiegelt die Position der Bundesregierung wider“, antwortet sie auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag, die der Presse vorliegt.
Damit ändert Deutschland grundlegend seine Position gegenüber den Gräueltaten der deutschen Truppen in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Nach einem blutigen Aufstand der Herero und Nama 1904 hatten die sogenannten „Schutztruppen“ auf Befehl ihres Generals Zehntausende Afrikaner erschossen und gezielt in den Tod in der Wüste getrieben. Schätzungen gehen von rund 100 000 Todesopfern aus.
Bisher hatten die Bundesregierung und ihre Vorgängerinnen stets betont, dass die „historischen Ereignisse“ erst seit Inkrafttreten der UN-Völkermord-Konvention 1951 als Genozid eingestuft werden könnten. Allerdings hatte der Deutsche Bundestag erst kürzlich bereits die Massaker an den Armeniern von 1915/16 im damaligen Osmanischen Reich als Völkermord verurteilt.
Dialog der Vergangenheitsbewältigung
In der neuen Stellungnahme zu den Herero-Massakern betont Berlin nun, dass die Präambel der UN-Konvention auch auf die historische Dimension des Begriffs verweist und ein Völkermord deshalb „in einer historisch-politisch geführten öffentlichen Debatte“ auch in einem „nicht rechtlichen“ Sinn definiert werden kann. Es bleibe allerdings dabei, dass allein aus der Verwendung des Völkermordbegriffs keine Rechtsfolgen für Deutschland entstehen, heißt es. Materielle Reparationen für die Herero und Nama werden damit abgelehnt. Anlass für die Anfrage, die der Linken-Entwicklungspolitiker Niema Movassat gestellt hatte, sind die derzeit laufenden nicht-öffentlichen Verhandlungen zwischen deutschen und namibischen Regierungsbeauftragten.
Erst vorige Woche war der deutsche Sonderbeauftragte, CDU-Politiker Ruprecht Polenz, aus Namibia zurückgekehrt. Ziel des „Dialogs zur Vergangenheitsbewältigung“ sei es, „auf Grundlage eines gemeinsamen Verständnisses der Vergangenheit zu einer weiteren Vertiefung der Zusammenarbeit“ zu gelangen.
Inwiefern über finanzielle Entschädigungen für den Völkermord verhandelt wird, hält das Schreiben offen. Gegenstand der Verhandlungen sei aber eine „deutsch-namibische Zukunftsstiftung“ sowie Projekte der politischen Bildung und des Jugendaustauschs. Polenz hatte in der „FAZ“ zudem mögliche Infrastrukturmaßnahmen, etwa bei der Wasserversorgung, angesprochen. Konsens bestehe bereits darüber, dass es eine gleichlautende Resolution des Bundestages und des namibischen Parlaments geben soll, in der der Völkermord verurteilt werde. Zudem soll es eine offizielle Entschuldigung der Bundesrepublik geben, die Bundespräsident Joachim Gauck aussprechen könne.
Erstmals rückt die Bundesregierung offen von der Deutung ab, dass die bisher von Deutschland geleistete Entwicklungshilfe für Namibia bereits eine Art Reparation gewesen sein könnten. Nun heißt es, „Entwicklungsgelder dienen entwicklungspolitischen Zwecken und werden nicht anders deklariert.“
Die Opposition lobt einerseits die Kurskorrektur der Regierung. „Es ist gut, dass die Bundesregierung sich der Meinung der wissenschaftlichen Fachwelt anschließt und besser spät als nie von Völkermord spricht“, sagte Linken-Politiker Movassat der FR. Dass die „laufende Geheimdiplomatie unter Ausschluss der Nachfahren der Überlebenden“ geschehe, sei aber „völlig inakzeptabel“.
Sven Geyer, Frankfurter Rundschau, 13.07.2016
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