Julia Gerlach* über die Arabellion in Ägypten:
Der Titel ist suboptimal, der Untertitel irreführend, aber das Buch lesenswert. Julia Gerlach, sieben Jahre lang Nahost-Korrespondentin einer überregionalen deutschen Zeitung mit Sitz in Kairo, zeichnet die Entwicklung Ägyptens von der gestürzten Diktatur Mubaraks zur heutigen Diktatur al-Sisis nach, blickt auf die Vorgeschichte der Ära Nassers und Sadats zurück und schält Determinanten für das Scheitern des arabischen Frühlings im bevölkerungsreichsten arabischen Staat heraus.
Anders als der Buchtitel behauptet, wurde in Ägypten nicht der Frühling verpasst – er fand ja statt als Aufstand und Aufbruch -, es wurden die Chancen verpasst, die er bot. Und der Untertitel suggeriert, dass das Buch vom arabischen Raum handelt. Aber es geht auf 180 Seiten ausschließlich um Ägypten, dann jeweils auf zehn Seiten um Tunesien, Libyen, Jemen und Syrien. Diese Fokussierung auf Ägypten bekommt dem Buch gut.
Die Rebellion scheiterte am Militär
Gerlach nimmt den Leser auf eine Zeitreise mit. Einige Personen hat sie über fünf Jahre hinweg immer wieder interviewt: einen Künstler, eine TV-Moderatorin, einen Muslimbruder, eine Politaktivisten. Sie beobachtet genau und beschreibt einfühlsam, wie auf Hoffnung herbe Enttäuschungen folgten, wie sich im Lauf dieser Jahre von Rebellion und Repression, von demokratischem Aufbruch, islamistischer Herrschaft und militärischem Putsch Persönlichkeiten veränderten.
Vor fünf Jahren begehrte die Jugend auf, Hunderttausende besetzten 18 Tage lang den Tahir-Platz in Kairo, bis der Langzeitdiktator Mubarak zurücktrat. Die Islamisten schlossen sich früh der Rebellion gegen das Militär an. Bald zeichnete sich ein Bündnis zwischen Armee und Islamisten ab, die beide zu demokratischen Werten ein taktisches Verhältnis hatten. Nachdem die Muslimbrüder nach ihrem Wahlsieg die Regierung übernommen hatten, errichteten sie ein autoritäres Regime. So wurde der Putsch der Militärs gegen die Herrschaft der Islamisten auch im linken und im liberalen Milieu weithin begrüßt.
Die Militärs hatten es verstanden, die Polarisierung zwischenislamistischen und laizistischen Kräften zu polarisieren, um sich an der Macht zu halten. Im Unvermögen, diese Polarisierung in einer gebildeten Gesellschaft zu verhindern, sieht Gerlach den Hauptgrund für das Scheitern der Arabellion in Ägypten. War also der Aufstand der Jugendlichen umsonst? Ganz ohne Hoffnung entlässt die Autorin ihre Leser nicht. Eine ihrer Protagonistinnen sagt: „Sie haben die Freiheit gekostet und werden den Geschmack nie vergessen!“ Thomas Schmid
*Julia Gerlach: Der verpasste Frühling. Woran die Arabellion gescheitert ist. Berlin: Ch. Links Verlag 2016.
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