Harry Nutt: Beleidigte Herrscher

Harry Nutt:

Immer häufiger stellen sich Potentaten als Opfer unbotmäßiger Vorwürfe dar und verbitten sich die Einmischung in ihre eigenen Angelegenheiten.  Mit menschenrechtsverpflichteter Politik hat das nichts zu tun.

In den vergangenen Jahren hallte es häufig vom Schulhof herüber und wurde sogleich als Zeihen einer zunehmenden Verrohung der jüngsten Generation gedeutet. „Du Opfer“, schimpften die Großmäuligen die vermeintlich Schwachen in einer seltenen Mischung aus Übermut und Beiläufigkeit. Die Bezeichnung für ein erlittenes Schicksal und dessen traumatisierende Wirkung wurde so zur lapidaren Hänselei. Wer sich nicht wehren kann, gilt als Opfer, und auf den Kampfplätzen vor den stattlichen Ausbildungsanstalten scheint es immer mehr darauf anzukommen, die Welt in Starke und Schwache zu unterscheiden und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auf die sichere Seite zu gelangen. Wer das Wort Opfer als diskriminierende Floskel verwendet, zeigt sich letztlich auch bereit, andere zu Opfern zu machen.

In der großen Politik hat sich unterdessen eine subtile Umkehrung von solch ruppiger Stigmatisierung breitgemacht. Um propagandistische Raumgewinne für den poli9tischen Augenblick zu machen, sind immer mehr machtbewusste Staatslenker und deren Statthalter dazu übergegangen, sich zumindest vorübergehend in die Opferrolle zu begeben.

Das markanteste Beispiel war die unmittelbare Reaktion der Kreml-Oberen auf die Ermordung des russischen Oppositionellen Boris Nemzow. Noch ehe Genaues über den Tathergang bekannt war, ließ der Kreml bereits verlauten, es handele sich um eine Provokation. Das Opfer sei mithin das unglückliche Nebenprodukt einer viel ärgeren Verschwörung. Wer immer es auch gewesen sein mag: Es geht um uns, wir waren gemeint, das Opfer sind wir.

Dass es sich um blanken Zynismus oder eine gezielte Irreführung oder beides handelte, spielt dabei kaum eine Rolle. Aus der Sicht des Mächtigen betrachtet man sich immer als von anderen Verfolgter. Aus der Geschichte des Römischen Reiches weiß man um den unmittelbaren Zusammenhang von Macht und Opfer. Der Caesar ist immer einer, der seinem Mörder zuvorkommen muss.

Wie sehr die Techniken des Machterhalts auf die Instrumentalisierung politischer und religiöser Gefühle angewiesen sind, hat zuletzt auch die Reise von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nach Saudi-Arabien gezeigt. Vor dem Hintergrund des Schicksals des wegen Beleidigung des Islams zu 1000 Stockschlägen verurteilten Bloggers Raif Badawi ging es bei dem Treffen mit em saudischen König vor allem um die widersprüchliche Balance zwischen Gesicht wahren und Gesicht zeigen.

Während es längst ein Gebot demokratischen Politikverständnisses ist, in zwischenstaatlichen Gesprächen akute Menschenrechtsfragen nicht außen vor zu lassen, zeihen sich autokratische Regime immer selbstbewusster auf eine Position zurück, aus der heraus sie sich Einmischungen in innere Angelegenheiten verbitten. Was eben noch im Namen einer politischen Offenheit ausgesprochen wurde, verwandelt sich umgehend in eine Beleidigung, über die hinaus es kaum einen fortgesetzten Dialog geben kann.

Kaum hatte Gabriel das Öl-Imperium verlassen, zog dieses den Botschafter aus Schweden ab, weil die schwedische Regierung es gewagt hatte, den Fall Badawi offen zu thematisieren. Der Beleidigte entzieht sich der politischen Szene, nicht ohne es für einen politischen Akt zu halten.

Wie Beleidigung und Beleidigtsein, die zu den schweren Geschützen menschlicher Gefühle gehören, zu machtpolitischen Waffen umfunktioniert werden können, hat zuletzt die türkische Justiz vorgeführt. Sie verurteilte einen Gezi-Park-Demonstranten zu mehreren Monaten Haft, weil er den Präsidenten Recep Tayyip Erdogan einen Diktator genannt hatte. Die Beleidigung des Staatspräsidenten aber steht unter Strafe und wurde in diesem Fall mit einem quasi diktatorischen Urteil geahndet.

Wie verletzte Gefühle die aktuelle Politik durchdringen und zu einer unter starken Inflationserscheinungen leidenden Währung werden, zeigt nicht zuletzt die Griechenlandkrise, in der ein Feuerwerk narzisstischer Kränkungen abgeschossen wird, um operatives Oberwasser für den Moment zu gewinnen. Und es geht dabei gewiss nicht nur um rhetorische Finesse.

In allen den genannten Fällten wandeln Politiker auf einem schmalen Grat zwischen Achtung und Ächtung. Im fragilen Gefüge der Weltpolitik werden gerade die Karen neu gemischt, die über Zugehörigkeit und bloßes Dabeisein entscheiden. Die Beleidigten drehen am ganz großen Rad der Emotionen, um im Spiel zu bleiben oder überhaupt erst zugelassen zu werden. Und mehr denn je gehen sie, wenn es sein muss, dafür auch über Leichen.

Ein vernünftiges Zusammenspiel in der internationalen Politik kann es nicht jenseits der Errungenschaft geben, nach der zwischen Amt und Person zu unterscheiden ist. Gewiss haben verletzte Gefühle seit jeher auch die Politik bestimmt. Der Fortschritt aber beruht auf der Erfahrung, dass die Würde des Amtes über landläufige Beleidigungsversuche erhaben ist. Die Dominanz verletzter Gefühle entstammt dem Reich der Anti-Politik.

© Harry Nutt: Beleidigter Herrscher. Leitartikel: Frankfurter Rundschau, 17.03.2015, Seite 11

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