Die führende Gesellschaft für Genozidforschung übt harte Kritik an Israel.
Von Michael Hesse
FRANKFURT/M, 01.09.2025: Die weltweit führende Fachgesellschaft für Genozidforschung, die International Association of Genocide Scholars (IAGS), wirft Israel in einer Resolution vor, im Gazastreifen einen Völkermord zu begehen. In dem Papier heißt es, die israelischen Militäraktionen nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober richteten sich nicht allein gegen die Angreifer, sondern träfen die gesamte Bevölkerung des Küstenstreifens.
Auf drei Seiten listet die IAGS zahlreiche Punkt auf:
°die wiederholte Vertreibung von mehr als 2,3 Millionen Menschen,
°die Zerstörung von rund 90 Prozent des Wohnraums und
°die gezielte Vernichtung kultureller Einrichtungen wie Schulen, Universitäten, Bibliotheken, Museen und Archive – Orte, die für das kollektive Gedächtnis und die Identität der Palästinenser zentral seien.
°Ganze Familien und Generationen seien ausgelöscht worden, heißt es in dem Text.
°Zudem hätten die israelischen Angriffe mehr als 50 000 Kinder getötet oder verletzt – ein Vorgehen, das auf die Vernichtung der palästinensischen Gemeinschaft im Gazastreifen ziele.
°Ergänzend nennt die Resolution willkürliche Festnahmen, Folter, sexualisierte Gewalt, Angriffe auf Ärzte, Helfer und Journalisten sowie die systematische Zerstörung von Lebensgrundlagen: Ackerflächen, Bäckereien, Wasser- und Stromversorgung.
„Reine Propaganda“
Als Beleg für eine Vernichtungsabsicht – juristisch das entscheidende Kriterium – verweist die IAGS auf öffentliche Aussagen israelischer Minister und Militärs, die Gaza „plattmachen“ oder „zur Hölle“ machen wollten. All dies erfülle, so die Wissenschaftler, die Kriterien der UN-Völkermordkonvention von 1948.
Die Resolution wurde mit 86 Prozent Zustimmung verabschiedet, allerdings beteiligte sich nur rund ein Viertel der rund 500 Mitglieder an der Abstimmung. Das rief Kritik aus den eigenen Reihen hervor. Israel weist die Vorwürfe zurück und betont, dass man im Kampf gegen die Hamas stehe, gegen die man sich seit dem Massaker vom 7. Oktober zur Wehr setze. Die Resolution beruhe, so ein Sprecher des israelischen Außenministeriums, auf „Propaganda der Hamas“ und sei „eine Blamage“ für die Verfasser, die grundlegende Fakten nicht geprüft hätten. Der Vorwurf des Genozids gegenüber Israel wird nicht allgemein geteilt. In Deutschland sprechen Politiker und Politikerinnen eher von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Israel begehe, was rechtlich ebenfalls schwerwiegende Folgen für das Land hätte.
Immer mehr Organisationen, darunter UN-Behörden, internationale Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International sowie israelische NGOs wie BTselem und Physicians for Human Rights, sprechen inzwischen von Völkermord. Denn bei diesem Vorwurf geht es nicht um eine rein semantische Debatte, die eines Tages in wissenschaftlichen Fachkreisen entschieden wird, sondern um ein Geschehen, das hier und jetzt konkrete politische Konsequenzen verlangt.
Besonders brisant ist der juristische Aspekt: Nur die Einstufung als Völkermord erlaubt nach der UN-Konvention die direkte Anrufung des Internationalen Gerichtshofs (IGH). So konnte Südafrika ein Verfahren gegen Israel einleiten. Darüber hinaus verpflichtet die Konvention alle Unterzeichnerstaaten – darunter auch Deutschland – zum Handeln, wenn ein Genozid droht oder bereits stattfindet.
aus: Frankfurter Rundschau, 04.09.2025, Seite 18
https://www.benkhumalo-seegelken.de/
04.09.2025
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